Salzgitter: Ein Mitarbeiter schaufelt in einem Stahlwerk Sand in die Abstichrinne am Hochofen
Salzgitter: Ein Mitarbeiter schaufelt in einem Stahlwerk Sand in die Abstichrinne am Hochofen
Berlin Gunnar Groebler lässt keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. „Wir sind schon dabei, das Baufeld für die neuen Anlagen vorzubereiten“, sagt der Vorstandschef der Salzgitter AG im Gespräch mit dem Handelsblatt. Es gehe darum, die wesentlichen Produktionsverfahren im integrierten Hüttenwerk bei laufendem Betrieb komplett umzustellen. „Das ist eine Mammutaufgabe. Aber wir wollen beweisen, dass es geht“, sagt er.
Man stehe vor einer grundlegenden Weichenstellung, erklärt er. Die Salzgitter AG will das Verfahren zur Herstellung von grünem Stahl von der Ebene eines Pilotprojekts auf den industriellen Maßstab übertragen.
Im Sommer soll dem Aufsichtsrat die entsprechende Investitionsentscheidung vorliegen. Es geht dabei im ersten Schritt um etwa eine Milliarde Euro. Wir reden über die größte Investition seit unserem Börsengang 1998“, erklärt Groebler, der seit Juli vergangenen Jahres an der Spitze des zweitgrößten Stahlherstellers in Deutschland steht.
Sein Unternehmen steht stellvertretend für die gesamte Branche. Ob Thyssen-Krupp Steel oder Arcelor-Mittal – sie alle müssen innerhalb weniger Jahre einen anspruchsvollen und teuren Transformationsprozess bewältigen, um die Klimaziele zu erfüllen und bis spätestens 2045 komplett klimaneutral zu werden. Denn: Die Stahlbranche steht für 30 Prozent der Industrieemissionen in Deutschland.
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Die Industrie kalkuliert mit Investitionen in Höhe von rund 30 Milliarden Euro. Davon werden allein zehn Milliarden Euro bis 2030 fällig.
Zwei Herausforderungen stehen im Mittelpunkt: Die klassische, auf dem Einsatz von Kohle basierende Hochofenroute muss wegen ihrer CO2-Intensität durch das sogenannte Direktreduktionsverfahren ersetzt werden.
Wenn beim Direktreduktionsverfahren grüner Wasserstoff zum Einsatz kommt, entsteht klimaneutraler Stahl. Außerdem müssen die Stahlhersteller ihre Prozesse optimieren, damit mehr Stahl wiederverwertet werden kann. Auch dadurch lassen sich die CO2-Emissionen erheblich reduzieren.
Das Problem: Der grüne Stahl ist teurer als konventionell produzierter. Solange Hersteller in anderen Weltregionen nach wie vor klassische Hochöfen betreiben, hat grüner Stahl auf dem Weltmarkt keine Chance. Die Politik muss helfen, die Lücke zu schließen.
Schon die alte Bundesregierung hatte das Problem erkannt und gemeinsam mit der Branche ein „Handlungskonzept Stahl“ entwickelt, das im Juli 2020 vorgestellt wurde. Viel passiert ist seitdem nicht, öffentliche Förderung beschränkt sich im Wesentlichen auf Pilotprojekte.
Die Unternehmen warten auf den Startschuss für eine Förderung in großem Maßstab. „Wir können die gesamte Prozesskette errichten. Wir wollen bereits 2033, nicht erst 2045, die Stahlproduktion über die Hochofenroute vollständig ersetzt haben“, sagt Groebler. Damit habe man den Zeitplan deutlich gestrafft. „Was wir jetzt brauchen, sind schnelle Entscheidungen der Politik für die richtigen Rahmenbedingungen.“ 2025 könne man die erste Direktreduktionsanlage in industriellem Maßstab in Betrieb nehmen.
Der Ball liegt damit im Spielfeld von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Vor zwei Wochen hat Habeck deutlich gemacht, dass er die Herausforderung annehmen will. Die Koalitionspartner hätten sich darauf verständigt, „dass das, was gebraucht auch finanziert wird“, hatte der Minister beim Energie-Gipfel des Handelsblatts gesagt.
„Es soll nicht an staatlicher Unterstützung mangeln“, ergänzte er. „Solange auf Wasserstoff basierte Produktion noch teurer ist, als der Markt es aufnehmen kann, zahlen wir die Differenzkosten“, sagte Habeck. Damit seien Investitionskosten und auch die zusätzlichen Kosten des laufenden Betriebs gemeint, bestätigte der Minister auf Nachfrage.
Auch im Klimaschutz-Sofortprogramm, das Habeck in der zweiten Januarwoche vorgestellt hat, spielt das Thema eine Rolle. „Wir werden die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Bereitstellung von Klimaschutzdifferenzverträgen als zentrales Instrument zur Unterstützung der Transformation in der Industrie schaffen“, heißt es darin. Das Klimaschutz-Sofortprogramm soll nach Angaben Habecks „bis Ende 2022 abgeschlossen werden, sodass alle Maßnahmen ab 2023 wirken können“.
In der Stahlbranche drängt die Zeit. Investitionen können nicht beliebig verschoben werden. Manche Hochöfen sind am Ende ihrer Betriebsdauer angelangt. Es muss entschieden werden, ob man noch einmal auf die konventionelle Herstellungsmethode setzt oder auf die Direktreduktion umstellt.
„Wir brauchen jetzt so schnell wie möglich eine klare und verlässliche Antwort der Politik“, sagt Salzgitter-Chef Groebler. Sein Unternehmen brauche „einen deutlich dreistelligen Millionenbetrag“ als Investitionsförderung. „Und damit allein ist es nicht getan“, sagt Groebler. Glücklicherweise habe Minister Habeck bestätigt, dass er auch die anfänglich höheren Betriebskosten klimafreundlicher Prozesse bezuschussen wolle.
>> Warum Klimaschutzverträge die letzte Chance für die Industrie sein könnten
Die von Habeck angesprochenen Differenzverträge sind nach Überzeugung Groeblers das geeignete Instrument, um einen Ausgleich für die höheren Kosten herzustellen. Dabei verpflichtet sich die öffentliche Hand gegenüber Unternehmen, bei Investitionen in neue, klimaneutrale Verfahren die Mehrkosten gegenüber Investitionen in konventionelle Technik und die Mehrkosten des laufenden Betriebs zu übernehmen.
Entscheidend ist für den Salzgitter-Chef, dass die Differenzverträge auch genutzt werden: „Theoretisch ist die Funktionsweise bekannt und vielfach beschrieben, jetzt kommt es darauf an, das Instrument auch tatsächlich zum Einsatz zu bringen.“
Parallel zum Aufbau des neuen Produktionsverfahrens arbeitet die Salzgitter AG wie auch die anderen Stahlhersteller daran, die Grundsätze der Circular Economy fest in die Abläufe des Unternehmens zu integrieren. „Es geht darum, aus linearen Prozessketten geschlossene Kreisläufe zu entwickeln“, sagt Groebler und verweist auf zwei Beispiele: Erst am Montag dieser Woche gaben die Salzgitter AG und die BMW Group eine Vereinbarung bekannt, die darauf zielt, Stahlschrott aus den BMW-Werken, der etwa in den Presswerken beim Ausstanzen der Türen entsteht, zurückzuführen und direkt wieder für die Produktion von neuem Stahl zu verwenden.
„Stahl ist unendlich wiederverwertbar. Dieses Potenzial werden wir noch stärker nutzen“, sagt Groebler. Der verstärkte Einsatz von Stahlschrott hilft dabei, CO2-Emissionen zu reduzieren. Die BMW Group plant, den Anteil von recyceltem Stahl von heute bis zu einem Viertel bis 2030 auf „bis zu 50 Prozent“ zu erhöhen. Ab 2026 liefert Salzgitter außerdem grünen Stahl an alle Werke der BMW Group in Europa.
Mit dem dänischen Windpark-Betreiber Örsted hat Salzgitter kürzlich eine strategische Partnerschaft geschlossen. „Im Prinzip soll das folgendermaßen laufen: Örsted liefert uns Offshore-Windstrom und nachhaltig produzierten Wasserstoff. Beides benötigen wir für die Herstellung von grünem Stahl. Dieser grüne Stahl wird dann in den Komponenten für die Offshore-Windparks von Örsted eingesetzt. Und schließlich führen wir Stahlschrott aus ausgemusterten Offshore-Windparks in die Stahlproduktion zurück“, erklärt Groebler.
Beide Konzepte – der Umstieg auf das Direktreduktionsverfahren und geschlossene Materialkreisläufe – sollen Salzgitter bis 2033 klimaneutral werden lassen. Ein großes Ziel. Doch Groebler ist optimistisch: „Wir haben enormen Respekt vor der Herausforderung. Aber wir sehen diese Transformation als Chance. Hier im Unternehmen ziehen alle mit, auch die Beschäftigten begreifen das als den richtigen Weg“, sagte er – und ergänzt: „Wenn wir nicht daran glauben würden, dass es funktioniert, könnten wir gleich aufgeben.“
Mehr: Klimaneutralität wird für die deutsche Industrie zur Überlebensfrage
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"Das Problem: Grüner Stahl hat auf dem Weltmarkt zunächst keine Chance"
Bei der Konkurrenz SSAB sieht man das anders. Im Gegensatz zu Salzgitter hat man dort bereits grünen Stahl hergestellt, der auch dankbar von Volvo abgenommen wurde.
https://www.volvoce.com/global/en/news-and-events/press-releases/2021/volvo-launches-worlds-first-vehicle-using-fossil-free-steel/
Zugleich plant SSAB noch in diesem Jahrzehnt komplett CO2-neutral zu produzieren. Zahlreiche Unternehmen wollen ihren CO2-Abdruck senken und suchen nach geeigneten Zulieferern. Die deutsche Stahlindustrie muss sich transformieren, sonst könnte sie den Anschluss verlieren.