Huch?! Hatte ich "Final Days" nicht bereits 2021 auf dem Seziertisch liegen und die letzte ORDEN OGAN-Scheiblette mit satten 4,5 Punkten geadelt? Noch mal kurz auf den Promo-Waschzettel geschaut – ah, ja – es handelt um die Zweitverwertung des aktuellen Albums.
Im instrumentalen Bereich ist alles beim Alten geblieben. Allerdings wurden die zehn Tracks von befreundeten (mehr oder weniger) Gastgoldkelchen neu eingeträllert. Dazu gesellt sich eine stromgitarrenfreie Orchester-Version von "Fields Of Sorrow" vom 2017er "Gunmen" Longplayer.
Und mit "December" spendieren ORDEN ORGAN uns sogar ein brandneues Stück, das direkt als Opener für "Final Days" 2.0 fungiert. "December" ist eine äußerst gelungene, klassische OO-Nummer. Treibend, eingängig, hochmelodisch und mit herrlichem Singalong-Chorus ausgestattet. Blöd ist nur, dass das Stück richtig Bock auf ein komplettes neues Album macht und nicht unbedingt auf einen Neuaufguss von Altbekanntem.
Die Neueinspielung startet mit Peavy Wagner, der sich an meinem persönlichen Lieblingstrack auf "Final Days", "Heart Of The Android" versucht. So sehr ich den RAGE-Frontmann auch schätze, die Peavy-Version stinkt gegenüber dem Original in allen Belangen ab. Das liegt nicht nur aber unter anderem auch daran, dass die gleichen verwendeten elektronischen Stimmeffekte Herrn Wagner kaum die Möglichkeit geben, den Song zu seinem zu machen. Und auch die Tatsache, dass (wie bereits erwähnt) der Titel (und auch die folgenden Stücke) durch die unveränderte Instrumentation in einem straffen Korsett feststecken, trägt dazu bei, dass man beim Hören das Gefühl hat, keinem neuen Titel, sondern lediglich einer nicht ganz so gelungen Kopie zu lauschen.
In "In The Dawn Of The AI" geben sich GAMMA RAY-Fronter Frank Beck und Ross Thompson von den Acapella-Metallern VAN CANTO die Ehre am Mikro. Klingt nicht schlecht, fällt aber in die Kategorie "Braucht man das?". Für "Inferno" gilt das Gleiche wie für den Opener, zumal es (sorry) deutlich bessere Sänger als Nils Molin von AMARANTHE gibt, die in der Lage wären, dem Stück die Stimmgewalt und Klasse zu geben, die es verdient. Dass jemand wie Stu Block dazu allemal in der Lage ist, hört man anschließend in "Let The Fire Rain", das tatsächlich durch den markanten Gesang immer wieder an ICED EARTH erinnert und somit eine der besten Neuinterpretationen auf "Final Days: ORDEN OGAN And Friends" darstellt.
Auch die RUNNING WILD-Gedächtnis-Nummer "Interstellar" funktioniert mit BRAINSTORM-Powerstimme Andy B. Frank sehr gut und ordnet sich in die vordersten Ränge der Wertungsskala ein. In "Alone In The Dark" übernimmt CRYSTAL VIPER-Chefin Marta Gabriel den Duett-Part von Ylva Eriksson (BROTHERS OF METAL) und bekommt Totengräber Chris Boltendahl zur Seite gestellt, von aber irgendwie nicht wirklich viel zu hören ist. Auf Marta trifft dasselbe zu wie auf Stu Block: Sie HAT das gewisse Etwas in der Stimme, was dazu führt, dass die Powerballade mit ihrem Gesang auch ohne Probleme auf einem CRYSTAL VIPER-Album erscheinen könnte.
"Black Hole" mit DEW SCENTED Sänger Leif Jensen und "Absolution For Our Final Days" mit Elina Siirala (LEAVES' EYES) fallen dagegen deutlich hinter die Original-Versionen zurück, beide Songs gewinnen nichts durch die neuen Vokalisten. Marc Lopes (ROSS THE BOSS) schafft es im Folgenden sogar, "Hollow" zum Rohrkrepierer von "Final Days: ORDEN OGAN And Friends" zu degradieren. Ei, ei, ei, da hat die ORDEN OGAN Qualitätskontrolle aber komplett versagt.
Doch "finale" Rettung ist in Sicht. Denn der reguläre Albumcloser "It Is Over" mit ANY GIVEN DAY-Sixpack Dennis am Mikro entpuppt sich als positive Überraschung und – neben dem Eröffnungsoriginal "December" – als bestes Stück auf "Final Days: ORDEN OGAN And Friends". Denn der eigentlich im Metalcore beheimatete Sänger schafft es nur durch seinen Gesang, eine wirklich spannende, interessante und auch qualitativ überzeugende Alternative zum Original von "It Is Over" zu kreieren.
Die abschließende Orchester-Version der "Gunmen"-Nummer "Field Of Sorrow" weiß ebenfalls zu gefallen und bietet durchaus einen Mehrwert zum Original.
Fazit:
Ich tue mich grundsätzlich schwer mit derartigen Zweitverwertungen regulärer Veröffentlichungen. Klar, für ORDAN OGAN war es sicher ein Riesenspass und vielleicht auch ein großer Wunsch, ihre Tracks von befreundeten Sängerinnen und Sängern neu interpretieren zu lassen. Das Ergebnis bietet ein ausgewogenes Verhältnis aus Licht und (nicht allzu dunklen) Schatten. Richtig schlecht ist keine der neu eingesungenen Nummern. Vielmehr funktioniert das Neuer-Sänger-alter-Song-Konzept einmal mehr und einmal weniger. In positiver Hinsicht sind die Beiträge von Stu Block, Andy B. Frank und Dennis Biehl noch einmal hervorzuheben. Und auch der bandeigene neue Track "December" ist über jeden Zweifel erhaben und macht große Lust auf ein neues ORDEN OGAN-Album.
Als integrierte Bonus-Scheibe in einer speziellen Edition zu "Final Days" wäre "Final Days: ORDEN OGAN And Friends" sicher ok gewesen. Ob man jetzt für das Stand-alone-Cover-Album noch mal Geld in die Hand nimmt, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.