Sie sahen das Unheil kommen und konnten es doch nicht verhindern.
Während der gesamten vergangenen Woche plagte sich Star-Quarterback Ben Roethlisberger mit einer Ellbogenentzündung herum. Team und Mitspieler bei den Pittsburgh Steelers wussten laut ESPN Bescheid, gespielt hat der 37-Jährige am Wochenende gegen die Seattle Seahawks trotzdem.
Nach der blamablen 3:33-Auftakt-Klatsche gegen die New England Patriots stand das Team von Head Coach Mike Tomlin am zweiten Spieltag bereits mächtig unter Druck. Es dauerte allerdings nicht lange, ehe sich “Big Ben” nach einem Wurf mit schmerzverzerrtem Gesicht an seinen lädierten Ellbogen fasste.
Bis zur Halbzeitpause blieb der Spielmacher tapfer auf dem Feld, dann musste Ersatz-Quarterback Mason Rudolph ran.
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Nach einer Untersuchung bestätigten sich später die Befürchtungen. Eine Operation ist unausweichlich, das Saisonaus für den Routinier besiegelt.
“Ich habe wenig Hoffnung für die Steelers dieses Jahr”, erklärt SPORT1-Kolumnist und DAZN-Experte Sebastian Vollmer: “Das Saison-Aus von Big Ben lässt mich zweifeln, dass sie da noch mal das Ruder rumreißen. Ohne ihren Ex-Superstar Brown ist die Offense deutlich schlechter, dann noch mit dem Backup-Quarterback in die restliche Saison zu gehen, ist schon schwierig.”
Die Verletzung des 37-Jährigen ist der vorläufige Tiefpunkt eines schleichenden Abstiegs bei den Steelers, einem Team, das sich oft so große Hoffnungen machen durfte und genauso oft bittere Enttäuschungen hinnehmen musste.
2007 übernahm Tomlin in Pittsburgh das Amt als Cheftrainers und es dauerte nicht lange, ehe sich große Erfolge zeigten. Gleich in der ersten Saison stellten die Steelers die beste Defense der Liga, im Februar 2009 gelang der Super-Bowl-Sieg gegen die Arizona Cardinals. Mit 36 Jahren wurde Tomlin zum jüngsten Super-Bowl-Head-Coach aller Zeiten.
Seit dem verlorenen Super Bowl 2011 (25:31-Pleite gegen die Packers) wartet man in Pittsburgh allerdings vergeblich auf eine Teilnahme am größten Sportevent der Welt. Dabei galt das Team stets als Titelkandidat.
Mit dem erfahrenen Ben Roethlisberger, Wide Receiver Antonio Brown und Running Back Le’Veon Bell stand eines der wohl gefährlichsten Offensivtrios aller Zeiten gemeinsam auf dem Feld, entsprechend gut waren auch die Stats.
Doch finanzielle Streitigkeiten führten zu hässlichen Trennungen. “Es ist schwierig, jede Franchise hat nur eine begrenzte Menge Geld. Da musst man schauen, wie man das möglichst gut verteilt”, beschreibt Vollmer Pittsburghs missliche Lage: “Im Moment wollen viele Topstars einen Maximalvertrag bekommen.”
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Le’Veon Bell wurde, sehr zu seinem Missfallen, zweimal mit einem Franchise Tag belegt, trug damit ohne langfristige Sicherheit das Risiko. Die Vertragsangebote der Steelers lehnte er ab. 2018 bestreikte der Running Back die komplette Saison und verzichtete freiwillig auf mehr als 14 Millionen Dollar.
Inzwischen trägt Bell das Trikot der New York Jets, verdient dort zwar gut, ist sportlich jedoch bedeutungslos.
Noch schlimmer war die Trennung von Antonio Brown. Auch er vermisste die Wertschätzung bei den Steelers, fühlte sich nicht angemessen bezahlt.
Seine Reaktion waren reichlich Undiszipliniertheiten, vor allem im vergangenen Jahr. “AB” schwänzte Teammeetings, brach das Training ab, überwarf sich mit Roethlisberger und Tomlin und schleuderte einen Ball in Richtung eines Mitspielers. Für das letzte Saisonspiel wurde Brown damals aus dem Kader gestrichen.
“Bell war zumindest ein guter Teamkollege”, erklärt Vollmer mit Blick auf die beiden Steelers-Problemfälle: “Brown ist Mike Tomlin auf der Nase herumgetanzt.”
Nach einer endlosen Streik-Saga bei den Oakland Raiders, die ihn per Trade geholt hatten, spielt die NFL-Diva inzwischen bei den New England Patriots – und sieht sich Vergewaltigungsvorwürfen gegenüber.
Die legitimen Nachfolger des abgewanderten Offensiv-Duos, Running Back James Conner und Receiver JuJu Smith-Schuster, können die großen Fußstapfen, in die sie hineinwachsen sollen, aktuell nicht ausfüllen.
Conner verletzte sich während der Partie gegen die Seahawks am Knie. Auch wenn sein Ausfall nicht von langer Dauer sein wird, geschwächt sind die Steelers allemal.
Smith-Schuster legte im vergangenen Jahr noch an der Seite von “AB” Fabelzahlen auf. Auch, weil sich durch die Anwesenheit von Brown große Räume im Pass- und Laufspiel ergaben.
In dieser Saison steht er als Receiver Nummer eins auf dem Feld, ist mehr unter Beobachtung, wird vom stärksten Cornerback des Gegners gedeckt und wartet noch vergeblich auf einen Touchdown. Mit 84 bzw. 78 Yards in den bisherigen Spielen blieb er noch hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Doch nicht nur die Abgänge, auch eine schwere Verletzung hat das Gebilde der Pittsburgh Steelers in den vergangenen Jahren stark erschüttert.
Linebacker und Anführer Ryan Shazier verletzte sich im April 2017 bei einem missglückten Tackling so schwer am Rücken, dass er zunächst mit einer Lähmung zu kämpfen hatte.
Inzwischen kann der Defensiv-Spezialist wieder laufen und Bälle fangen, als Anführer fehlt er dem Team dennoch sehr. Der einst so gefürchtete “Steel Curtain” ist aktuell löchrig wie selten. 30,5 Punkte lässt Pittsburgh in dieser Saison pro Spiel zu – nur vier Teams in der gesamten Liga sind schlechter.
In der noch jungen NFL-Saison sind die Playoff-Chancen der Steelers mit einer Bilanz von 0:2 bereits jetzt gering. Zudem stehen mit Baltimore Ravens und Cleveland Browns zwei bärenstarke Teams als Division-Konkurrenz bereit.
Quarterback Roethlisberger hat das Wohl seines Teams nach seiner Verletzung bereits am dritten Spieltag nicht mehr in der eigenen Hand. Er muss einem Ersatzmann vertrauen, dessen Verpflichtung er in der dritten Runde des NFL-Drafts 2018 für unnötig und zu früh erachtet hatte.
Vollmer hält auch einen kompletten Umbruch bei den Steelers nicht für ausgeschlossen. “Die Ellbogenverletzung von Roethlisberger ist problematisch, so eine Blessur muss man auch als junger Spieler erstmal wegstecken – und er ist ja schon 37 Jahre alt. Eine Verletzung am Wurfarm ist nicht ohne. Vielleicht ist die Zeit reif für einen Wechsel bei den Steelers.”
Das Titel-Fenster scheint, auf absehbare Zeit geschlossen zu sein.
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