Stefan Loibl
· 26.11.2018
Entgegen dem Trend, 130-mm-Bikes zu Abfahrtsspezialisten aufzubohren, spricht Canyon mit dem neuen Neuron CF sportliche Touren-Mountainbiker an, für die das Bergauf genauso großen Stellenwert hat.
Glaubt man den blumigen Phrasen und Hochglanzbildern der Industrie, müssen moderne Trailbikes vor allem eins können: Abfahren wie ein Mini-Enduro. Mit welchen Gewichtsproblemen solche Bikes mit 120-130 Millimeter Federweg teils kämpfen, haben wir in unseren letzten Trailbike-Tests (u.a. in BIKE 10/2018) kritisiert. Mit sportlichen Tourenfullys – wie die Bike-Gattung vor zwei Jahren noch hieß – haben viele der aktuellen Trailbikes nichts mehr zu tun. Die Philosophie dahinter: Der Uphill ist notwendiges Übel, es zählt alleine der Spaß bergab. Canyon sieht diesen Wandel mit Argwohn und verzichtet bei der Vorstellung der neuesten Neuron CF-Generation bewusst darauf, es der hippen Trailbike-Kategorie unterzuordnen. Denn das soll die Evolution des legendären Nerve auch nicht sein. „Das Neuron CF widerspricht dem Trend aktueller Trailbikes, sich im Federwegsbereich um 130 Millimeter immer mehr auf stark versierte, Speed-hungrige Piloten zu fokussieren“, sagt Canyon-Produktmanager Michael Staab.
Stattdessen soll es sportliche Tourenbiker glücklich machen, für die eine MTB-Tour aus mehr besteht als Adrenalin-sprudelnder Singletrail-Ritte. Die Basis des Viergelenkers bildet der Carbon-Rahmen (2660 Gramm), der sich beim Design nahtlos in die Formensprache des Race-Fullys Lux und des All Mountains Spectral eingliedert. Der Dämpfer sitzt – anders als bei den beiden Alu-Modellen des Neuron (siehe Test in BIKE 12/18) – über einer faserverstärkten Kunststoffanlenkung horizontal unter dem Oberrohr. Ab Rahmengröße M passt so eine große Trinkflasche ins Rahmendreieck. In Sachen Lagertechnik und Rahmenschutz legt Canyon die Messlatte mit dem Neuron CF extrem hoch. Abschraubbare Kunststoffdeckel schützen jedes der Hinterbaulager. Um die höheren Kräfte der Antriebsseite besser wegzustecken und so langfristig ohne Service auszukommen, sitzen am Hauptdrehpunkt antriebsseitig zwei Lagerschalen, auf der anderen nur eine. Schraubt man den rechten Deckel ab, kommt eine Umwerferaufnahme für Zweifach-Kurbeln zum Vorschein. Wer eine Einfach-Schaltung fährt, kann hier eine Kettenführung montieren. Wie beim Spectral laufen die Züge unter einer Kunststoff-Abdeckung unterm Unterrohr, die gleichzeitig als Rahmenschutz dient. Die Kettenstrebe schützen ein smarter, umlaufender Kunststoff-Aufbau sowie ein Chainsuck-Blech. Am Oberrohr kommt der von den Canyon-29ern bekannte, außenliegende Lenkanschlagsbegrenzer zum Einsatz. Bei der Geometrie folgen die Koblenzer dem aktuellen Trend „länger und flacher“, jedoch deutlich gemäßigter als die Konkurrenz. Immer mit der Prämisse: der Tourencharakter und die Ausgewogenheit stehen an erster Stelle.
Wichtig war dem Ingenieurs-Team um Vicenz Thoma, dass sich die Neuron-Modelle über alle Rahmengrößen hinweg möglichst identisch fahren. Eine Erkenntnis bei der Entwicklung war: Die Relation aus Lenkerbreite zum Nachlauf des Bikes (engl. „Trail“) ist ein entscheidender Indikator für das Fahrgefühl und das Einlenkverhalten. Trotz unterschiedlicher Laufradgrößen (27,5 Zoll bei XS/S und 29 Zoll bei M-XL) kommt das Neuron jedoch immer mit der Fox 34 als 29-Zoll-Version mit 51 Millimetern Offset. Da die kleineren Rahmen mit einem schmaleren Lenker ausgeliefert werden (740 statt 760 mm), muss für das identische Fahrgefühl auch der Nachlauf angepasst werden. Das geschieht über den Lenkwinkel, der bei den 27,5ern mit 67,0 Grad um 0,5 Grad flacher ist. Die Vorbaulänge bleibt übrigens über alle Rahmengrößen hinweg bei 60 Millimetern.
BIKE: 130 mm Federweg, eine flachere und längere Geometrie und abfahrtsorientiertere Komponenten. Warum nennt ihr das Neuron CF trotzdem nur ungern ein Trailbike?
Michael Staab: Ein ist schon ein Trailbike, aber die Trailbike-Kategorie wird immer abfahrtsorientierter und wir sehen da durchaus Raum für eine andere Ausrichtung eines Trailbikes. Zu aller erst ist das Neuron CF ein Mountainbike, es erfüllt die klassische Definition des Mountainbikens. Also Touren fahren, berghoch und bergab. Natürlich auch mit Spaß bei der Abfahrt, deswegen macht es schon Sinn, dass die Räder ein wenig länger und flacher werden. Aber wir sehen den Trend, dass es nur noch in die Richtung ‘länger, flacher, abfahrtsorientierter‘ geht, kritisch und finden, dass diese Entwicklung an den Bedürfnissen vieler Kunden draußen vorbeigeht.
Unser Hauptkritikpunkt ist das Mehrgewicht, das dieser Trend mit sich bringt. Wie versucht ihr beim Neuron, das Gewicht niedrig zu halten?
Es gibt auch Gewicht, das sinnvoll angelegt ist. Zum Beispiel eine absenkbare Sattelstütze, die keiner mehr missen möchte. Oder den Komfort und Grip von etwas breiteren Reifen. Die Balance zu finden, ist nicht ganz so einfach. Ich habe versucht, an Komponenten Gewicht zu sparen, wo es Sinn macht. Bei den günstigeren Modellen mit Alu-Laufrädern hat man vorne breitere Felgen als hinten. Und dann war von Anfang an klar, dass das neue Neuron einen Carbon-Rahmen kriegt, um damit Gewicht zu sparen. Dazu kommen kleine Details wie bei den Reifen: vorne mit leichterer Karkasse, hinten die robustere für besseren Pannenschutz. Aber alles unter der Prämisse, dass das Bike tourentauglich bleibt.
Das neue Neuron soll also genauso gut klettern wie es abfährt?
Man spürt, dass sich der Spaß solcher Bikes immer mehr über die Abfahrtsqualitäten definiert. Aber in der Realität fahren die meisten Leute vorher den Berg hoch oder machen eine Alpenüberquerung damit. Natürlich hilft ein Rad, das ein wenig abfahrtsorientierter ausgelegt ist, bei den Abfahrten auf einer Transalp. Aber man muss vorher eben auch hochfahren.
Geht der allgemeine Trailbike-Trend in die falsche Richtung?
Bikes in dieser Federwegsklasse teilen sich in zwei Lager auf: sportliche Bikes mit Marathon-Genen und welche, die so auf Abfahrt getrimmt sind, dass man keine Touren mehr fahren kann. Auch die aktuelle Entwicklung der Geometrien sehe ich kritisch. Die Räder werden immer länger, zum Ausgleich werden die Sitzrohre immer steiler. Vielfach kommt man zu einer Sitzposition, die auf langen Touren – also 50 Kilometer und mehr – für nicht so austrainierte Fahrer oft nicht mehr so gut fahrbar ist, weil ihnen die Oberkörper-Muskulatur und die Haltekräfte fehlen, um eine so extreme Position über lange Strecken komfortabel fahren zu können. Trotzdem spreche ich diesen Rädern ihre Berechtigung überhaupt nicht ab. Aber es gibt eben auch etwas daneben beziehungsweise dazwischen. Und genau für diesen Kundenkreis haben wir das Neuron entwickelt.
Wer ist also der typische Neuron-Kunde?
Ein klassischer Mountainbiker eben, der sportliche Touren fährt und ein ausgewogenes Bike sucht. Den gibt es trotz E-Mountainbike-Boom und Aufkommen von immer aggressiveren Geometrien nach wie vor. Da muss man nur einmal auf eine lokale CTF (Country-Tourenfahrt, Anm. d. Redaktion) gehen. Die Realität ist eben auch, dass die Fahrtechnik-Skills bei vielen nur sehr rudimentär vorhanden sind. Deshalb war es uns wichtig, dass wir mit dem Neuron ein Bike haben, das diesen Fahrern hilft, sich darauf wohlzufühlen. Es soll berechenbar sein. Das machen, was der Fahrer erwartet. Es soll den Fahrer nicht vor Rätsel stellen. Grob gesagt: Der Fahrer soll das Bike fahren, nicht das Rad den Fahrer, wie es bei Bikes mit extremen Geometrien und mangelnder Fahrtechnik öfter der Fall.
Du warst seit dem ersten Nerve dabei. Wie viel Nerve steckt noch im aktuellen Neuron?
Schon noch überraschend viel. Die grundlegende Ausrichtung ist immer noch dieselbe. Das Nerve war seit seiner Einführung ein Touren-Fully. In der Realität fahren viele Biker berghoch, um danach bergab fahren zu können. Klar macht das mehr Spaß, wenn das Bike ein bisschen robuster ausgelegt ist und bergab mehr Reserven hat.
Fünf Herren-Modelle und zwei Damen-Version vom Neuron CF sollen ab sofort auf der Canyon-Website erhältlich sein. Die Fahrwerke kommen ausnahmslos von Fox, beim Antrieb dominieren Einfach-Antriebe von Sram und Shimano. Nur das Neuron CF 9.0 ist mit einer 2×11-Shimano-XT-Schaltung bestückt. Möglichst kleine Klettergänge sollen auch nicht so trainierten Bikern entgegenkommen und bei langen Alpenanstiegen die Kraftreserven schonen. Hier alle Neuron CF-Modelle im Überblick:
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