Im Jahre 1899 setzt die „Kerberos“, eines von vielen Flüchtlingsschiffen, mit einer Besatzung von mehr als 1600 Passagieren, zur Überfahrt in die neue Welt an. Unter den Gästen an Bord befinden sich nicht nur Menschen aus Europa, sondern auch aus Asien, die hoffen, sich ein neues Leben aufbauen zu können. Die Neurologin Maura Franklin (Emily Beecham) hingegen hat eine andere Hoffnung an Bord des Frachters getrieben, denn ihr Bruder Henry war Passagier der „Prometheus“, eines Schiffes aus derselben Reederei wie die „Kerberos“, die auf ihrer Route nach New York spurlos verschwand. Dennoch hält Maura eine Nachricht Henry in ihren Händen, die ihr Hoffnung macht, dass er noch am Leben sein könnte und irgendwo auf sie wartet. Die Überfahrt der „Kerberos“ wird jedoch abrupt unterbrochen, als die Mannschaft von Kapitän Eyk Larsen (Andreas Pietschmann) einen Funkspruch erhält und eine Position weitab von ihrem Kurs. Entgegen der Proteste unter den Passagieren und einiger Crewmitglieder ändert Larsen den Kurs der „Kerberos“ und schon nach wenigen Stunden bestätigt sich, was viele schon ahnten: vor ihnen liegt die „Prometheus“, ohne ein Lebenszeichen an Bord oder ein Licht.
Mit nur wenigen Leuten, darunter auch Maura, macht sich Eyk auf den Weg zu dem Schiff, doch auch an Bord findet sich keine Spur von den Passagieren oder der Crew. Lediglich ein verstört wirkendes Kind finden sie in einer der Kabinen, doch der Junge, der unter Schock zu stehen scheint, kann keine Antworten geben, was auf der „Prometheus“ passiert sein könnte. Zurück an Bord mehrt sich nicht nur der Widerstand der Passagiere, die zunehmend unzufrieden sind mit den Entscheidungen des Kapitäns, und darüber hinaus die seltsamen Vorkommnisse. Eyk, Maura und auch andere Menschen werden verfolgt von sehr real wirkenden Visionen, die einen Bezug zu ihrer Biografie haben oder dem Grund, warum sie in die Neue Welt übersetzen wollte. Alles scheint eine Verbindung zu der „Prometheus“ zu haben und deren Schicksal, und als die „Kerberos“ schließlich nicht mehr in der Lage ist, sich zu orientieren, befürchten viele, man könnte das Schicksal des anderen Schiffes und deren Besatzung teilen.
Nach dem großen Erfolg ihrer ersten Zusammenarbeit mit Streaming-Dienst Netflix, der Serie Dark, sind die Erwartungen an 1899, der zweiten Serie von Showrunner Baran Bo Odar und Jantje Friesen recht hoch. Die Mischung aus Drama und Mystery begeisterte viele, sodass Dark zu einem wahren Kult wurde, der bisweilen Vergleiche zu Werken wie David Lynchs Twin Peaks motivierte. Diesem Mix bleiben die Showrunner in den acht Episoden der ersten Staffel treu, wobei sie die Handlung in ein Jahr verlegen, in welchem die Flüchtlingswelle in die Neue Welt einen Höhepunkt erreichte.
Unabhängig davon, wie man letztlich zu einer Serie wie 1899 steht, wird man nicht umhinkommen, die Ambition des Projekts festzustellen. Nicht nur in Sachen Kostüm und Kulisse empfinden die acht Folgen der ersten Staffel das Gefühl nach, sich zu dieser Zeit in einem Passagierschiff zu befinden, welches in die USA übersetzen wollte, auch die Figuren an sich, deren Dialoge in sechs Sprachen, von Englisch und Deutsch bis hin zu Spanisch, Dänisch und Französisch, stattfinden, legen die Macher sehr viel Wert auf Authentizität. Kombiniert man diese Aspekte mit den unterschiedlichen Hintergründen der Figuren, die sich im Laufe der acht Folgen dem Zuschauer nach und nach erschließen, ergibt sich ein attraktiver erzählerischer wie auch ästhetischer Flickenteppich, der erinnert an Werke wie Stanley Kramers Das Narrenschiff. Selbst wenn das Maß an Komplexität und die damit verbundene Faszination nicht jeder Geschichte in gleichem Maße zuzusprechen ist, verweisen diese auf verschiedene Aspekte der Flucht sowie der Hoffnung auf ein neues Leben, welches das alte großflächig auslöscht.
Nichts alles ist, wie es scheint an Bord der „Kerberos“, nicht nur was das Schiff an sich angeht, sondern ebenso die Passagiere. Auch wenn es schwierig und bei einem solchen Ensemble auch etwas unfair wäre, eine Leistung hervorzuheben, sind es doch vor allem die Darstellungen von Schauspielern wie Emily Beecham und Aneurin Barnard, als Passagier, der ein Geheimnis trägt, was ebenfalls mit dem Schicksal der „Prometheus“ verbunden ist, welche die Spannung innerhalb der ersten Staffel aufrechterhalten. Ebenso ist der Hintergrund der religiösen Gemeinde einiger dänischer Auswanderer sehr interessant, besonders in der Konfrontation mit den Passagieren der ersten Klasse, von denen sie mehr noch als die Hierarchie des Schiffes an sich trennt. Bei all den Wendungen, teils überraschend, teils sehr abstrus, die das Drehbuch der acht Folgen durchmacht, verweisen solche individuellen Geschichten auf die sehr menschliche Tragödie der Unmöglichkeit des Verlassens eines alten Lebens oder der vollständigen Verarbeitung eines Traumas, wie es sich einige von ihnen, auch der Crew, wünschen.
Abgesehen von den schauspielerischen und den visuellen Effekten muss bei 1899, wie schon bei Dark, die Tongestaltung unbedingt hervorgehoben werden. Mysteriös und unheilschwanger sind manche Szenen und deuten auf ein Ereignis oder eben ein weiteres Puzzleteil in diesem großen Rätsel, welches 1899 eigentlich sein will, hin. Allein die dritte Folge, in der die „Kerberos“ von einem unheimlichen Nebel umringt wird, der das Manövrieren schlichtweg unmöglich macht, kommt dieser Aspekt besonders gut zum Tragen und macht das Schiff letztlich zu einem ganz eigenen Wesen, welches atmet und lebt, und sich scheinbar gegen die menschlichen Charaktere richtet.
OT: „1899“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Baran bo Odar
Idee: Baran Bo Odar, Jantje Friesen
Drehbuch: Jantje Friesen, Dario Madrona López Gellgo, Emma Ko, Jerome Bucchan-Nelson, Juliana Lima Dehne, Emil Nygaard Albertsen
Musik: Ben Frost
Kamera: Nikolaus Summerer
Besetzung: Emily Beecham, Andreas Pietschmann, Miguel Bernardeau, Aneurin Barnard, Isabella Wei, Lucas Lynggaard Tønnesen, Gaabby Wong, Mathilda Olivier, Rosalie Craig, Clara Rosager, Marie Erwolter
Toronto International Film Festival 2022
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Ein langweiliger film,undurchsichtige handlung,ganz schlecht synchronisiert.ich hab schon laut gedreht und trotzdem vieles nicht verstanden.genau son Blödsinn wie die Serie haunted.bin schwer enttäuscht
Auf jeden Fall muß man sich drauf einlassen, nichts ist wie es scheint, spannend und interessant zuguterletzt
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