Autobiografie: Er ist hier der Boss
“Scheiß auf die Playboy Mansion, dort läuft sowieso nichts von Interesse. Da ist doch alles nicht real
. Es hat nichts mit dem zu tun, worauf es mir ankommt.
Also brachte ich mich selbst um einen Haufen Spaß, wie das so meine Art war.”
Als Songwriter hat sich Bruce Springsteen schon in die Riege der großen amerikanischen Erzähler geschrieben. Mit seiner Autobiografie veröffentlicht er nun erstmals ein Buch (abgesehen von dem Kinderbuch “Outlaw Pete”, illustriert von Frank Caruso), in dem seine Poesie, seine Bilder, seine gewaltige Sprache voller Tiefe, Witz und Ironie noch einmal ausführlich und ganz ohne Musik kraftvoll zum Ausdruck kommen.
Die American-Dream-Geschichte – vom blinzelnden Außenseiter zum zeitweise größten Rockstar des Planeten – erzählt Springsteen mit einem feinen Sinn für die kulturhistorischen und gesellschaftlichen Begebenheiten in seiner Familie, seiner Jugend, seiner Hood. Ähnlich wie bei Peter Guralnicks großartiger, doppelbändiger Elvis-Biografie kann man hier den Schweiß und den Staub schmecken, der Amerika damals zusammengehalten hat.
Springsteen ist kein Typ für die Yellow Press: Keine Drogen, keine Exzesse abseits der Bühne, keine zerstörten Hotelzimmer, wenig Party, und auch sonst hielt er sich eher raus aus der Welt der Schönen und Reichen. Er blieb in gewisser Hinsicht der schüchterne, nachdenkliche Junge aus New Jersey, der nur mit der Gitarre auf der Bühne zu leben begann.
Mary, Sandy und Wendy bleiben namenlos
Gerade diese Position des Protagonisten macht die Autobiografie so spannend: Bruce Springsteen sucht die Antworten auf seine Fragen, den Sinn des Lebens im Alltäglichen. Vom exponierten Standpunkt des Musikers aus, dessen einziger richtiger Job als Dreikäsehoch das Rasenmähen war, um sich die erste Gitarre leisten zu können, betrachtet er neugierig die Leben seiner Familie und Weggefährten. Abgesehen von den Bandmitgliedern steckten die in den ganz gewöhnlichen harten Routinen. Ihre Kraft, dranzubleiben und weiterzumachen, den Widrigkeiten zu trotzen, zu funktionieren, Verantwortung zu schultern und trotzdem menschlich und liebevoll zu bleiben, wurde seine Inspiration.
Wie man erfährt, ist etwa “The River” die Geschichte seiner Schwester und seines Schwagers Mickey, “ein arroganter Mistkerl – ein halbstarker Bullenreiter in Lederjacke und ein Streithahn aus Lakewood, der sich mit der Zeit jedoch als rundum guter Typ herausstellte”. Auch seine Freunde lieferten die Momente für den Stoff seiner Songs: Surfboard-Bauer, Automechaniker, Klubeigner, Roadies, Musiker und Mitbewohner, mit denen er, in Gesinnung und gelegentlicher Ziellosigkeit vertraut und vereint, die unendlichen Highways herunter der Sonne- oder auch der Dunkelheit – entgegenfuhr.
So viele Namen Springsteen den Frauen in seinen Songs gab (Mary, Sandy, Rosi, Wendy, Terry allein in der Frühzeit seines Schaffens), in der Biografie bleiben die meisten seiner Freundinnen namenlos. Aufgrund seiner permanenten Flucht vor Nähe und der Angst, die Zügel aus der Hand geben zu müssen, waren sie in der Nachbetrachtung wohl nur Abenteuer. Oder es waren einfach zu viele.
Die Menschen, die Anteil am Leben und Erfolg haben, werden sporadisch mit eingeflochten. Bis auf seinen Vater bleiben die meisten, inklusive Band und Entourage, Teile von Geschichten und Weisheiten, die er in manchmal absurden Anekdoten zum Besten gibt. Eine dieser Geschichten aus den frühen Siebzigern, in der seine damalige Band Steel Mill ein Benefizkonzert für ihren eingebuchteten Schlagzeuger spielen wollte, der Organist Danny Federici aber ebenfalls auf der Fahndungsliste stand (vorangegangen waren Ausschreitungen bei einem College-Gig), hätte locker als Blaupause für das Vorfinale des “Blues Brothers”-Films dienen können.
Manchmal naiv, immer kraftvoll und kompromisslos
Die eigene Einordung und Interpretation der Songs und der Alben ist teilweise schon bekannt, es sind mitunter Wiederholungen, aber auch Vertiefungen von Interviews aus den letzten Jahre, die er zum Beispiel anlässlich seiner in den veröffentlichten Werk-Boxen beigefügten Dokumentations-DVDs oder großen Magazinen gegeben hat.
Es sind Betrachtungen, die einerseits stark aus der Erfahrung des Älterwerdens geprägt sind, andererseits sehr unmittelbar seinen jeweiligen Zustand beschreiben: seine Triebkraft, sein Bedürfnis, auch inhaltlich etwas Bedeutsames zu schaffen, gespeist aus den Erfahrungen, die er und sein Umfeld aus der “Working Class” in Amerika machten. Das liest sich manchmal naiv, aber immer kraftvoll und kompromisslos: der Rock’n’Roll-Getriebene und Beziehungsflüchtling, dessen Katalysator und einziger Ausweg lange Zeit die Musik zu sein schien. Das Leben zu genießen, dafür fehlte ihm die Lockerheit. Siehe Playboy Mansion.
Auch wenn das Thema Depression sein ganzes Leben lang eine Rolle spielte: Dieses Buch ist voller Selbstironie, Witz und Weisheit! Wie seine Songs zieht es nicht runter, sondern ermutigt zum Aufstehen und Weitergehen. Egal, ob der Sonne oder der Dunkelheit entgegen, es gibt immer etwas zu entdecken.
Bruce Springsteen:
Born to Run
Eine Autobiografie.
Aus dem amerikanischen Englisch von Teja Schwaner, Alexander Wagner, Urban Hofstetter, Daniel Müller.
Heyne Verlag; 672 Seiten; 27,99 Euro.
Bruce Springsteen hat seine Memoiren geschrieben. Sie erzählen ausführlich von seinen Anfängen in New Jersey, vom Alkoholikervater, von ersten Bands wie The Castiles und, hier im Bild, Steel Mill.
Stolzer Blick aufs Debütalbum: “Greetings from Asbury Park, N.J.” erschien 1973. Kommerziell war es noch kein großer Erfolg.
Seine erste Gitarre hatte Springsteen bekommen, nachdem er mit sieben Jahren Elvis in der “Ed Sullivan Show” gesehen hatte.
Springsteen in den Flitterwochen mit seiner zweiten Ehefrau, Patti Scialfa. Auch über seine Beziehungen zu Frauen spricht der Musiker in seiner Autobiografie.
Er nutzt seine Memoiren nicht zur Abrechnung: Selbst der High-School-Direktor, der ihn wegen seiner langen Haare ausschloss, war “im Grunde genommen ein guter Kerl”.
Springsteen in der “Born in the USA”-Ära: Den Abstand zwischen dem amerikanischen Traum und der amerikanischen Realität nennt er sein Lebensthema.
Viele der berühmtesten Springsteen-Songs spielen auf den Highways Amerikas – doch der Sänger lernte erst weit in seinen Zwanzigern selbst zu fahren.
Springsteen mit seinem E-Street-Band-Kollegen Steven van Zandt: Den Nummer-eins-Erfolg von “Dancing in the Dark” wollten die beiden in Disneyland feiern – wurden aber rausgeworfen.
In seiner Autobiografie spricht Springsteen so offen wie noch nie über seine Kämpfe mit der Depression, die er mit Therapien behandelt.
Darüber, wie er es mit über 60 immer noch schafft, Vierstundenkonzerte herunterzureißen, gibt er Hinweise (Hanteltraining), aber die wirkliche Erklärung ist vielleicht die: “Vor Tausenden habe ich mich immer sicher gefühlt, alles rauszulassen. Deswegen wird man mich da auch nicht los.”
Die Autobiografie “Born to Run” von Bruce Springsteen ist erschienen im Heyne-Verlag, 672 Seiten dick und kostet 27,99 Euro.
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