Mathematik ist in der Corona-Krise zu einer echten Waffe geworden. Ohne den täglichen Blick auf die Kurven- und Balkendiagramme zum Stand der Neuinfektionen lässt sich im Small Talk nicht mehr punkten. Zeit also, etwas statistisches Wissen draufzusatteln. Besonders gut geht das mit Adam Kucharski.
Dem Associate Professor an der London School of Hygiene & Tropical Medicine (Hauptforschungsgebiet: Zika-Virus) gelingt in seinem pünktlich zur Pandemie erschienenen Buch ein unterhaltsamer Rundumschlag zur Bedeutung statistischer Denkmodelle für nahezu alle Bereiche der Gesellschaft. Die Leser lernen Wegbereiter der Epidemiologie kennen, wie den englischen Arzt Ronald Ross, der für Berechnungen zur Verbreitung des Malariavirus und seine Ansätze zum Konzept der Herdenimmunität 1902 einen Nobelpreis erhielt. Auch ein Deutscher taucht auf, der emeritierte Tübinger Universitätsprofessor Klaus Dietz, dem die Fachwelt die entscheidende Reproduktionszahl R verdankt. Auf Basis solcher buchstäblich lebenspraktischen Forschung modellieren Statistiker heute sogar Börsenabstürze; was Wunder, dass nicht wenige Epidemiologen – Kucharski eingeschlossen – irgendwann in ihrer Laufbahn selbst auf der Gehaltsliste von Investmentbanken standen.
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Hinter all den Erkenntnissen der Wissenschaft liegt die Gewissheit, dass es nicht egal ist, wie jeder Einzelne sich in einer Pandemie verhält. Wer sich vor Covid-19 mit derlei Virenwelten nicht beschäftigen wollte, es jetzt aber schleunigst nachholen will, für den ist “The Rules of Contagion” das Buch der Stunde.
Viel Lärm: WeWork-Gründer Adam Neumannsteht für eine Techszene, der es an echten Innovationen fehlt
Ross Douthat, Harvard-Alumnus, Spross einer Familie von US-Intellektuellen und Kolumnist der “New York Times”, zählt zum konservativen Spektrum; er hat sich am Niedergang des Katholizismus abgearbeitet und ein Manifest für die Erneuerung der Republikanischen Partei geschrieben. In seinem neuen Buch steht das noch größere Ganze auf dem Spiel: die Zukunft des Westens.
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Douthat ist kein Technikgegner: Wie Silicon-Valley-Ikone Peter Thiel beklagt er, die Welt habe sich fliegende Autos erträumt und alles, was sie bekommen habe, seien – in Anspielung auf Twitter – “140 Zeichen”.
Doch als Feuilletonist sucht er das Grundlegende im Symptom. Die Innovationsschwäche und Disziplinlosigkeit der Techszene, dokumentiert an Abstürzen wie dem des Fahrvermittlers Uber, ist für ihn Ausdruck einer allgemeinen Sklerose der Gesellschaft und ihrer Institutionen, bedingt vor allem durch den demografischen Wandel und eine eigensüchtige Oberschicht, die sich zunehmend auf die Verteidigung ihrer Privilegien konzentriert.
Der Eintritt ins Zeitalter der Dekadenz müsse nicht böse enden, diagnostiziert er: Auch das Römische Reich habe, ohne Kreativität und Hoffnung, noch 400 Jahre durchgehalten.
Ob die Zukunft eine zweite Renaissance oder die Apokalypse bringt – Douthat hält beides für möglich und denkt auch gleich den “Schwarzen Schwan” mit, das umwälzende, unvorhersehbare Ereignis. Sein Buch kam Ende Februar auf den Markt, am Anfang von Corona. Douthats Verweis auf den Untergang der Azteken, denen Mikroben (und Europäer) zum Verhängnis wurden, ist die Pointe.
Jedes Wort zählt:Autor David Marquet überträgt Lektionen aus seiner Zeit als U-Boot-Kommandant auf die Wirtschaft
Bevor David Marquet mit dem Schreiben von Managementbüchern begann, hatte der Mann selbst einen Topjob und stand ständig unter Druck. Er war U-Boot-Kommandant der US-Marine; seine Großtat bestand darin, die Besatzung des Atom-U-Boots “USS Santa Fe” zu einer Mannschaft zu formen.
Aus dem demotivierten Haufen, Letzter in Navy-internen Rankings, machte er eine Gruppe von Topperformern, indem er die Kommunikation auf dem Schiff revolutionierte. Aus seinen Erkenntnissen schrieb er einen Amazon-Hit (“Turn the Ship Around!”, 2013).
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Jetzt hat Marquet nachgelegt, mit einem Ratgeber für Unternehmenslenker. Und wieder kümmert er sich um Grundprobleme jedes Anführers: Wie bekomme ich meine Leute dazu, Verantwortung zu übernehmen?
Die Antwort, sagt der Ex-Soldat, liegt in der Sprache. Er identifiziert den Umgangston in den meisten Firmen als Relikt aus der industriellen Ära, in der Manager Hierarchien, Routinen und Effizienz huldigten und es auf jede Frage eine korrekte Antwort zu geben schien. Gegen diese törichte Arroganz der Befehlshaber auf der Unternehmensbrücke setzt er einen Bauchladen voller Rhetorikinstrumente, letztlich mit einem einzigen Ziel: Der CEO soll sich zurücknehmen.
Nicht alle Ideen sind seine eigenen. Die Empfehlung etwa, über heikle Themen erst anonym abstimmen und dann diskutieren zu lassen (um Gruppenzwang auszuschalten), hat man anderswo schon gelesen. Doch der Ernst, mit dem der Mann sein Thema behandelt, bleibt im Gedächtnis. Chefs mit Talent zur Selbstkritik könnten von diesem Buch profitieren.
Harter Hund:Charles Kochsschlipslos-nachdenkliches Äußeres täuscht. Der Mann vertritt rücksichtslos seine geschäftlichen Interessen.
Ihr Vermögen ist größer als das von Mark Zuckerberg, der Jahresumsatz ihres Konglomerats übersteigt den von Facebook, Goldman Sachs und US Steel zusammengenommen – und doch agierten sie zeitlebens weitgehend im Verborgenen: die Brüder Charles und David Koch aus Wichita/Kansas, Inhaber von Koch Industries, einem der größten Privatunternehmen Amerikas (Raffinerien, Plastik, Papier, Dünger). Nach dem Tod von David Koch im August 2019 ist der 84jährige Bruder Charles Herrscher über Koch Industries.
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In einem einzigartigen Kraftakt aus mehr als sieben Jahren Recherche und Hunderten Interviewstunden zeichnet Christopher Leonard den Aufstieg der Brüder nach. Vor allem mit Blick auf Charles (84), seit 1967 ununterbrochen CEO), gelingt Leonard die faszinierende Studie eines mutigen Visionärs, der schon in den 1980er Jahren den Börsengangpropheten von Morgan Stanley die Tür weist und die väterliche Raffinerie aus eigener Kraft zum 110-Milliarden-Dollar-Business ausbaut.
Wie rigoros die Koch-Brüder ihre ökonomische Power in politische Macht ummünzen, ist lehrreich, aber auch abschreckend: Mit eigenen Think Tanks und unablässigem Lobbying agitieren sie für Sozialabbau, gegen Umweltschutz (der ihr Ölgeschäft gefährdet) und für die Schwächung des Staates zugunsten starker Individuen.
Top 12: Die aktuelle Bestsellerliste aus der Wirtschaftskultur
Donald Trumps “America first”-Doktrin läuft den weltweiten Geschäftsinteressen der Kochs zuwider. Paradoxerweise waren sie ihm trotzdem eine Hilfe. Wer sich fragt, warum US-Arbeitnehmer heute glauben, das System habe sich gegen sie gewendet, und dem Populisten in die Arme rennen, der findet in Leonards Buch eine überzeugende Antwort.
Zentrale Figur:Herbert Henzler(vorn links) hört man gern zu. Hier nimmt SAP-Mitgründer Dietmar Hoppeine Kostprobe.
Dieses Buch ist vieles, nur keine gewöhnliche Managementliteratur. Geschrieben für Menschen, die nicht glauben, dass sich Karrieren mit der Lektüre von Ratgeberbüchern machen lassen. Gedacht für alle mit Ehrgeiz und Verstand, die wissen wollen, wie das Leben bis hinein in Vorstände und Aufsichtsräte spielt – und was sie daraus für sich selbst lernen können.
Herbert Henzler (78), ehemaliger McKinsey-Deutschland-Chef, hat es verfasst als ein Kompendium seiner Erfahrungen und damit auch als ein Kompendium zur Führung. Die Leser profitieren damit von einem außergewöhnlichen Leben, in dem es immer darum ging, andere mitzureißen, seien es Klienten oder junge Mitarbeiter.
Vor allem aber ist sein Buch ein Plädoyer für lebenslanges Lernen und Arbeiten. Henzler wuchs als Bauernbub im schwäbischen Neckarhausen auf, später beriet er die wichtigsten Menschen der deutschen Wirtschaft, von Daimlers Jürgen Schrempp bis Siemens’ Heinrich von Pierer, genauso wie Bayerns Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Viele der heutigen Unternehmenschefs von Allianz bis Deutsche Börse hat er als junger McKinsey-Berater geprägt. Und fing nun mit Mitte 70 an, Chinesisch zu lernen. Könnte man ja noch mal brauchen.
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Herbert Henzler glaubt daran, dass jeder Begabte mehr aus sich machen kann, wenn er nur will. Und dass es sich für die Gesellschaft lohnt, wenn sich möglichst viele Leute anstrengen. Er ist, so gesehen, ein jung gebliebenes Kind des Wirtschaftswunders. Die Arbeit hat sein Leben bereichert, nicht erschwert – auch das ist möglich, liebe Millennials.
Lee Jae Yongaus dem Samsung-Clan wurde in Seoul wegen Korruption verurteilt
Smartphones, aus denen Rauch aufsteigt, bevor sie spektakulär in Flammen aufgehen – für Samsung war das Desaster um sein Prestigemodell Galaxy Note 7 der Super-GAU. Sogar ein Flugzeug musste 2016 evakuiert werden, weil ein Galaxy-Besitzer mit seinem Telefon den Teppich in Brand setzte. Im Wettstreit mit Erzfeind Apple, das mit dem iPhone bis heute die Ikone der Zunft verkauft, fielen die Koreaner mit einem Schlag weit zurück. Dabei hatte man Apple technologisch in vielen Punkten bereits überholt.
In seinem Buch “Samsung Rising” erklärt der US-Journalist Geoffrey Cain, wie sich der Megakonzern von einer Zuckerraffinerie zu einem Techgiganten entwickeln konnte, ohne den Südkoreas Bruttoinlandsprodukt um gut 10 Prozent geringer wäre. Die knapp 100.000 Mitarbeiter gelten in ihrer Heimat als beneidenswerte Elite, die weniger für die Gründerfamilie Lee arbeitet, sondern vor allem die Nation vorantreibt. Der Aufstieg des Konzerns ist eng verwoben mit der Aufholjagd, die das einstige Entwicklungsland in die Liga der führenden Industrienationen vorstoßen ließ. Samsung war 2019 zeitweise profitabler als das Vorbild Apple.
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Die Kehrseite der Erfolgsgeschichte: Vetternwirtschaft, Korruption und ein internes System der Angst, das kaum Widerspruch duldet. Als Cain es wagte, nach der Galaxy-Krise im US-Fernsehen Kritik zu üben, ließ der Konzern ihn denunzieren. Vergebens. Der Journalist hat Hunderte Mitarbeiter, Führungskräfte, Experten und sogar ein Mitglied der elitären Familie Lee für sein Buch interviewen können. Ein faszinierender Einblick in eines der größten Techimperien der Welt.
Es gebe nichts Legales, das er nicht getan hätte für 100 Millionen Dollar, sagt Stephen Schwarzman
Blackstone ist der größte Alternative-Asset-Manager der Welt. Doch wenn Gründer Stephen Schwarzman (72) zum Schließen des ersten Buy-out-Fonds 1987 nur vier Tage länger gebraucht hätte, würde es die Firma nicht geben. Denn da stürzte der Dow Jones ab wie nie zuvor.
In seinen Memoiren erzählt Schwarzman, wie er es als von Ehrgeiz geradezu besessener Sohn eines Ladenbesitzers in Philadelphia zum Multimilliardär brachte – mit amüsanten Anekdoten. Auch darüber, wie er nach einem halben Jahr keine einzige Zusage für den ersten Fonds hatte. Die Wende brachten die japanischen Banker von Nikko, die ein US-Geschäft aufbauen sollten, aber kaum Englisch sprachen und niemanden sonst in New York kannten. Schwarzman versprach Hilfe – gegen ein Investment von 100 Millionen Dollar.
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Schwarzman beschreibt die Typen hinter den großen Deals und Pleiten, das macht sein Buch lesenswert. Er erzählt, wie sein erster Deal gelang – und dass er darauf einen Cognac (einen Courvoisier) zum Album “Saturday Night Fever” von den Bee Gees trank. Selbstkritik findet man bei Schwarzman nicht, aber man lernt doch, wie die Finanzelite an der Wall Street denkt und arbeitet.
Das illustriert auch Schwarzmans Umgang mit der zum Start der Finanzkrise pleitegegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers. Schon als Student hatte Schwarzman in der Harvard Business School prophezeit, dass das Geldhaus an seiner psychopathischen, teils hasserfüllten Firmenkultur scheitern werde. Trotzdem arbeitete er jahrelang gern dort, bevor er Blackstone gründete.
In Asien ist DHL eine Megamarke; mit dem Eigner des Unternehmens, der Deutschen Post, verbindet kaum jemand etwas. So ähnlich geht es auch Ken Allen: ein Star in der globalen Managerwelt, in Deutschland dagegen außerhalb der eng gezirkelten Logistikfachwelt ein Nobody. Seit seiner Berufung zum CEO vor zehn Jahren holte der Bergarbeitersohn aus Yorkshire den Expressdienst DHL aus einer tiefen Krise und machte die Division zur profitabelsten Sparte der Post. Seine Lehren hat er nun zu Papier gebracht.
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So schnörkellos Allens Kernbusiness, die Zustellung eiliger Terminsachen, so klar bringt der gelernte Rechnungsprüfer seine Botschaft an den Leser: Erfolg stellt sich ein, wenn man weiß, was man will, und es durchzieht. “Radical Simplicity” steckt voller einfacher Merksätze, die sich zu Allens Glaubensbekenntnis zusammenfügen: Jeder intelligente Idiot könne die Dinge komplizierter machen, aber “es braucht einiges an Genie und Mut, in die Gegenrichtung zu gehen”.
DHL-Chef Allen (mit DHL-Socke): “Das Management sah etwas in mir, das ich nicht sehen konnte”
Wer also erfolgreich sein wolle, der führe lieber “Not-to-do-Lists als To-do-Lists”, sorge für gute Stimmung und kümmere sich um seine Leute: “Das wahre Geheimnis guter Führung besteht darin, Menschen an ihr Talent glauben zu lassen, dann entfalten sie es auch.”
Mit 16 Jahren hat Allen diese Chance selbst erhalten: Er schmiss die Schule und jobbte in der Buchhaltung eines Sportartikelherstellers, “und das Management sah etwas in mir, das ich nicht sehen konnte”.
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Es sind solche ehrlichen Anmerkungen, die Allens Buch seine Überzeugungskraft geben. Die Tipps des Vollblutmanagers sind es wert, auch von Nichtlogistikern gelesen zu werden.
TAKTIKFUCHSHoward Marks weiß, wann er von Angriff auf Verteidigung umschalten muss
Die Trefferquote von Investor Howard Marks (73) fordert Respekt. Mehrere Jahre vor dem Techcrash von 2000 und erneut vor der Finanzkrise verkauften die Fonds seines Finanzdienstleisters Oaktree riskante Anlagen und stiegen 2002 und 2008 günstig wieder ein. Jedes Mal warnte er öffentlich in seinen viel gelesenen “Memos”.
Nun ist sein Timing wieder perfekt, trotzdem ist Marks’ jetzt auf Deutsch erschienenes neues Buch über lange Strecken enttäuschend. Die einzelnen Kapitel zu Konjunktur- und Kreditzyklen sind teils langatmig. Manches, wie das Schwanken der Anleger zwischen Angst und Gier, wurde anderswo schon oft dargestellt.
Leser mit Vorkenntnissen sollten gleich das letzte Kapitel aufschlagen. Es bietet eine gute Zusammenfassung mit Seitenangaben zu den Themen, über die sie ausführlich lesen möchten.
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Schlüssig und empfehlenswert ist Marks’ Hauptthese: Das Timing von Investments in gewöhnlichen Zeiten ist nicht sinnvoll. Aber wenn die Zeiten ungewöhnlich werden, sich also Zeichen für extreme Überbewertungen zeigen, sollte der Anleger sein Geld früh in weniger konjunkturabhängige und verlustgefährdete Anlagen umschichten. Dass einem so die letzte Boomphase entgeht, ist allemal verkraftbar.
Leider fehlt im Buch eine Analyse zum aktuellen Marktzyklus. Doch Marks’-Memo-Leser wissen: Am 26. Juli 2017 riet er erstmals seit 2008 wieder zur Vorsicht. Und im März hat er einen Teil seiner Oaktree-Aktien an den Rivalen Brookfield verkauft. Beides zeigt: Es ist wieder an der Zeit, das Verlustrisiko zu reduzieren.
ChauffeurUS-Journalist Frank Langfittlockte Chinesen mit Gratistouren
Taxis sind in China ein kommunikativer Ort. Die Fahrer fragen ihre Gäste gern ungeniert aus: Wie viele Kinder man hat. Wie viel man verdient. Tabus gibt es fast keine.
Der Amerikaner Frank Langfitt hat sich diesen Marktplatz auf vier Rädern ausgesucht, um mit dem Mann und der Frau aus dem Volk ins Gespräch zu kommen. Förderlich: Er bot seinen Taxidienst gratis an.
Immer wenn es seine Zeit erlaubte, setzte sich Langfitt – der zwischen 2011 und 2016 hauptberuflich China-Korrespondent des amerikanischen Rundfunksenders NPR war – hinters Steuer seines gebrauchten Toyota Camry und chauffierte wildfremde Menschen durch das Labyrinth der Megastadt Shanghai. Sie revanchierten sich mit Storys aus ihrem Leben.
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Langfitt stellte die Fragen, sein Assistent Yang protokollierte auf dem Beifahrersitz. Aus den vielen Dienstfahrten entstand ein Buch, das sich wohltuend von der Flut vermeintlicher Erklärbücher abhebt, die oft genug nicht mehr als spekulative Deutungen der chinesischen Führung enthalten.
Bei Langfitt geht es authentisch und kritisch zu. Deshalb werden die Protagonisten nur mit ihren westlichen Namen genannt. Zum Beispiel Beer Horse, der Autohändler, oder der Wanderarbeiter Rocky, der gern John Denver hört, oder Fifi, die Psychologin. Ihre Storys sind geschickt miteinander verbunden.
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Langfitt steht damit in bester Tradition von Peter Hessler. Dem war vor zehn Jahren mit seinem Buch “Country Driving” als bislang letztem westlichen Autor eine lesenswerte Beschreibung der chinesischen Gesellschaft gelungen.
Aus penibel notierten Tradingregeln schuf Ray Dalioden größten Hedgefonds der Welt
Ohne Ray Dalio (69) würde es keine Chicken McNuggets geben. Mit Terminmarktdeals ermöglichte er es dem Lieferanten von McDonald’s, die Futterkosten abzusichern; nur deshalb konnte die Kette Huhnhappen zum Festpreis anbieten. Kein schlechter Karriereeinstieg für den Sohn eines New Yorker Jazzmusikers, der sich als Rohstofftrader unter texanische Viehzüchter begeben hatte. Aus seinen Erfahrungen als Finanzmarktcowboy und angelesenen Einsichten über die Wirtschaftsgeschichte entwickelte Dalio ein umfassendes Regelwerk und gründete eine Firma.
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Der Rest ist Legende: Sein Hedgefonds Bridgewater Associates ist der größte der Welt. 58 Milliarden Dollar Gewinn hat er in 44 Jahren für seine Kunden zusammengetragen, mehr als jeder Rivale.
In seiner nun auf Deutsch erscheinenden 150-seitigen Autobiografie schildert Dalio seine Entwicklung als Anleger und spart dabei seine existenzbedrohenden Fehler nicht aus. Die wichtigste Einsicht lautet sympathischerweise, dass der Ruin immer dann droht, wenn ein Investor seiner Sache allzu sicher ist. Eine packende Lektüre.
Auf die Memoiren folgen fast 400 Seiten mit Prinzipien für die Lebens- und Unternehmensführung, die dröge daherkommen. Über die größte Kompetenz des Autors, das Investieren, erfährt der Leser darin nichts. Denn seine Prinzipien für die Geldanlage hat Dalio sich für ein späteres Werk aufgespart.
Dafür erzählt er, wie er in der Euro-Krise 2012 den EZB-Rat bekniete, Staatsanleihen zu kaufen. Auf Mario Draghis Motto “Whatever it takes” hat er aber kein Copyright.
Aufräumerin: Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warrenpasst in Stiglitz’ neues Kapitalistenschema
Nur noch gut die Hälfte der US-Wähler hält “Kapitalismus” für eine gute Sache, sogar Wall-Street-Stars wie Jamie Dimon (JP Morgan) oder Ray Dalio (Bridgewater) schlagen Alarm wegen der Ungleichheit im Land. Amerikas Wirtschaftspolitik dürfte nach Donald Trump klar nach links abbiegen.
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Pünktlich zum Vorwahlkampf 2020 steckt Joe Stiglitz dafür die Agenda ab. Der Nobelpreisträger war Chefökonom Bill Clintons und der Weltbank, stritt aber schon damals gegen den “Washington Consensus” der liberalen Globalisierer. Immer wieder hat er vor unregulierten Märkten, der Ungleichheit und der Macht des großen Geldes gewarnt. Als die Ursünde gilt ihm der rechte “Marktfundamentalismus” der 80er Jahre. Dessen verheerendste Sumpfblüte sei nun Trump.
Stiglitz zielt aufs politische Ganze. Mit ökonomischen Gegenargumenten hält er sich nicht auf, die meisten Ideen kennt man bereits. Sein Programm der “dramatischen Reformen” Amerikas ist für deutsche Leser lauwarmer Kaffee: Den starken Staat, der Gesundheit, Bildung, Teilhabe und Infrastruktur für alle garantieren soll, gibt es hier längst. Überall akut ist freilich das Problem neuer Monopole und Machtballungen.
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Stiglitz hält die Positionen des erklärten “Sozialisten” Bernie Sanders wie auch Elizabeth Warrens, der betont sachlichen Präsidentschaftskandidatin, für richtig – obwohl die sich “kapitalistisch bis in die Knochen” nennt. Als “Progressiven Kapitalismus” etikettiert er seinen neuen amerikanischen Traum. Der enthält viel europäische Sozialdemokratie – umgelabelt für den freiheitsliebenden Wählermarkt USA.
Keine Ausbeuter:Für Ben Cohen(r.) und Jerry Greenfieldwar persönlicher Reichtum nicht das Wichtigste
Der Versuch, Gutmenschentum und Gewinne zu vereinen, ist gerade mal wieder schwer en vogue. Alle Welt redet von Purpose, Impact Investing und Nachhaltigkeit. Neu ist das nicht. Zu allen Zeiten gab es Unternehmer, die nicht nur für den Profit wirtschaften wollten. Warum die meisten scheiterten, schildert James O’ Toole, emeritierter Professor an der Marshall School of Business der University of Southern California, in diesem so umfangreichen wie lesenswerten Buch.
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Der Managementexperte hat die hochherzigen Wirtschaftsmänner jahrzehntelang erforscht. Den britischen Baumwollfabrikanten Robert Owen zum Beispiel, der den Arbeitern an seinen Webstühlen noch vor den Krupps eine eigene Stadt baute und ihre Kinder zur Schule schickte. Oder Ben&-Jerry’s-Gründer Ben Cohen, in dessen Eiscremereich Manager nicht mehr als fünfmal so viel verdienen sollten wie Arbeiter. Oder Anita Roddick mit ihrer umweltbewussten Kosmetikkette The Body Shop.
Den “erleuchteten Kapitalisten” gilt O’Tooles Sympathie: “Sie betrachteten die Entwicklung ihrer Mitarbeiter als Menschenrecht.” Ihre Zeitgenossen hielten sie für Sonderlinge, doch ihre Firmen prosperierten – zumindest solange sich die willensstarken Gründer der puren Shareholder-Denke ihrer Geldgeber entgegenstemmten. Schon die nächste Generation warf meist allen Überbau wieder ab.
Ethisch motivierte Familienunternehmen und Stiftungen haben der Analyse zufolge auch die besten Chancen auf Langlebigkeit. Der Sozialprosa börsennotierter Unternehmen hingegen schenkt O’Toole keinen Glauben. Er nennt sie “hohl”.
Einsame Spitze:GM-Chefin Mary Barra – für Autor Cowen eine Heldin der Gegenwart
An der Börse der öffentlichen Werturteile ist Tyler Cowen so etwas wie der eigensinnige Value-Investor. Ist eine Idee momentan über- oder unterbewertet? Diese Frage ist das Markenzeichen des Ökonomen, Kolumnisten und Bestsellerautors von der George Mason University bei Washington, D. C.
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Das System des US-Business jedenfalls hält Cowen derzeit für krass unterbewertet. Die empörten Debatten über Riesenboni, Wall-Street-Zocker oder Techmonopolisten seien viel zu einseitig. Dagegen stellt er ein ganz unerwartetes Zartgefühl: “Wir lieben die Unternehmen nicht genug”, heißt die Kernthese seines neuen Buchs.
Konsequent flicht Cowen also ein Argumenteband der Sympathie: Er preist die alltäglichen Glanzleistungen einer gut gemanagten Wirtschaft. Relativiert ihre Sünden als selten. Zerlegt gängige Klischees. Es ist ein Balanceakt zwischen intelligenter Ehrenrettung und Wirtschaftskitsch zum Fremdschämen.
Überbezahlte Vorstände? Für Cowen sind heutige CEOs die “erfolgreichen Philosophen der Moderne”, wahre “Super-Überflieger”, die so rar sind, dass sie eben viel Geld kosten. Das Vergütungssystem sei “nicht perfekt” – aber “viel besser, als die meisten denken”.
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Überhaupt: die Systeme. Sie sind Cowens eigentliches Herzensding. Sein Manifest ist Erquickung für Managerseelen. Doch für den schlimmsten Denkfehler hält er es, dass “die Wirtschaft” ständig zu einer Art Person gemacht werde. Wo ihre Kraft zum Guten doch in Wahrheit in abstrakten Regeln stecke.
Da schimmert echte Liebe durch. Allerdings die eines ausgeprägten Kopfmenschen.
Prediger: Medientheoretiker Rushkoff hält die großen Internetkonzerne für eine Menschheitsgeißel und sucht Abhilfe
Vielleicht gab es nie einen glühenderen Liebhaber des Internets als Douglas Rushkoff. Seit den 90er Jahren begleitete der Autor, Musiker und Inhaber eines Lehrstuhls für Medientheorie am Queens College in New York den Aufstieg der digitalen Technologien in unzähligen Reden und Schriften, anfangs voller Euphorie über die unbegrenzten Möglichkeiten des Netzes, heute desillusioniert über dessen Kommerzialisierung.
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Seine enttäuschten Gefühle investiert Rushkoff nun in ein neues Utopia: Er will die Massen – das “Team Human” – im Widerstand gegen die “antihumane Agenda” der Gegenwart vereinen.
Das im Stil eines Manifests in 100 kurze Kapitel eingeteilte Buch überzeugt in der Analyse und schwächelt auf der Lösungsseite. Rushkoff beklagt die Übermacht der Algorithmen, den Überwachungskapitalismus, Filterblasen und Datenklau. Er unterschlägt nicht, dass der Konsument willig mitspielt und sich denkfaul an spielerischen Funktionen von Social-Media-Apps erfreut, anstatt sie für die demokratische Meinungsbildung zu nutzen.
Doch gegen die Mischung aus Agitation und Agonie wirft der Autor dann mal so ganz allgemein eine “Renaissance der Werte” in den Ring, er wünscht sich mehr “Liebe, Verbindung, Gerechtigkeit und geteiltes Eigentum”, echtes Miteinander in lokalen Netzwerken und eine kollaborative Wirtschaft mittels Crowdfunding.
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Aus seinem Blickwinkel ist das konsequent, denn die politische Szene zählt er zu den Handlangern der Plattformkonzerne. Angesichts solcher Naivitäten erstrahlen die Regulierungsbemühungen der EU dann doch gleich in viel hellerem Licht.
SCHULD IN SCHWARZ
Elizabeth Holmesversprach eine medizinische Revolution und lieferte einen Finanzskandal ab
Die Geschichte der Elizabeth Holmes war einfach zu schön, um wahr zu sein. Eine 19-jährige Studienabbrecherin erfindet eine Apparatur, die konventionelle Bluttests überflüssig machen soll. Sie gründet eine Firma (Theranos), die ein paar Jahre später mehr als acht Milliarden Dollar wert ist. Sie lockt Henry Kissinger in ihren Aufsichtsrat und gewinnt Medientycoon Rupert Murdoch als Investor, der ihr für 125 Millionen Dollar Anteile abkauft.
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So märchenhaft, wie die Geschichte klang, war sie auch. Theranos blieb nicht mehr als ein leeres Versprechen. John Carreyrou, der den Skandal als Reporter für das “Wall Street Journal” aufdeckte, schildert, wie Holmes es über Jahre schaffte, Investoren, Silicon-Valley-Promis und Konzerne wie den Schweizer Pharmariesen Novartis oder die US-Apothekenkette Walgreens mit ihrer Start-up-Show einzuseifen. Er entwickelt seine Geschichte wie ein Staatsanwalt sein Plädoyer: nüchtern und faktenreich.
Mehr als Betaversionen waren die von Holmes angebotenen Testkits nie, völlig außerstande, zuverlässige Resultate zu liefern. Tatsächlich arbeitete Holmes wie eine Programmiererin, die ihre Software im laufenden Betrieb optimiert und funktionsfähig macht. So etwas mag in der IT-Industrie funktionieren, hat aber im Gesundheitswesen im Wortsinn tödliche Folgen.
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Carreyrou beschreibt nicht nur den Absturz eines schwer gehypten Start-ups. Er zeichnet am Fall Theranos die dunkle Seite des Silicon-Valley-Kapitalismus nach. Und genau diese Überhöhung macht “Bad Blood” zu einem der besten Wirtschaftsbücher der jüngeren Zeit.
Dietmar Palan
AUF DER ANKLAGEBANK
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg,hier bei einer Anhörung in Washington, D. C., galt mal als integer
Roger McNamee (62), Wagniskapitallegende und Mitgründer der Investoren Silver Lake und Elevation Partners, hat drei große Leidenschaften: Technologie, Musik und Politik. Es war eher Zufall, welche davon er nach dem Studium in Yale zum Beruf machte. McNamee bekam 1975 von seinem Bruder zu Weihnachten einen portablen Sprachcomputer geschenkt. Das Ding ließ ihn nicht mehr los, McNamee sah darin die Grundzüge des Smartphones voraus. Bis zum iPhone dauerte es zwar noch eine Weile, aber McNamees Begeisterung für Computer und seine Gabe, deren Zukunft zu erahnen, machten ihn zu einem der besten Techinvestoren der USA.
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2006 lernte er den jungen Mark Zuckerberg (kurz: Zuck) kennen. McNamee half dem Facebook-Gründer, einen Übernahmeversuch von Yahoo abzuwehren. Später investierte er und lotste die heutige COO Sheryl Sandberg zu Facebook.
In “Zucked” erzählt McNamee von seinem politischen Idealismus, den er damals sowohl in Zuckerberg als auch dessen Start-up erkannte. Facebook, so war er überzeugt, könne nicht nur ein äußerst profitables, sondern auch gemeinnütziges Unternehmen werden.
Ab 2016 bekam McNamee ernste Zweifel. In seinem Buch schildert er detailreich, wie er versuchte, Zuck und Sandberg vor Schlupflöchern zu warnen, mit denen sich Facebook als politische Waffe missbrauchen ließ. Vergebens. Spätestens seit dem Skandal um Cambridge Analytica ist klar, wie fatal diese Ignoranz war.
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McNamees Buch ist eine auch für Laien verdauliche Einführung in die Mechanik des Silicon Valley und die Autobiografie eines Technologiecracks, der nie vergessen hat, dass große Innovationen immer auch politische Folgen haben. “Zucked” ist eine Geschichte von hochintelligenten Menschen, die nicht erkennen, dass sich ihr Talent gegen sie gewendet hat. Das Facebook von heute, so McNamee, ist eine “tödliche Gefahr” für die Gesellschaft.
Philipp Alvares de Souza Soares
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Es gebe nichts Legales, das er nicht getan hätte für 100 Millionen Dollar, sagt Stephen Schwarzman
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Einsame Spitze:GM-Chefin Mary Barra – für Autor Cowen eine Heldin der Gegenwart
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