Viele Jahre führte Dela einen kleinen Laden. Doch damit ist Schluss, sie ist gezwungen, das Geschäft aufzugeben und gemeinsam mit ihrem Sohn Elma in eine weit entfernte Stadt zu ziehen. Dort wollen sie noch einmal von vorne anfangen und sich etwas Neues aufbauen. Einfach ist das nicht. Obwohl Dela viel Geschick und Erfahrung im Handeln und Feilschen hat, kommt sie nicht vom Fleck. Auch ihre Versuche, Arbeit zu finden, scheitern ein ums andere Mal, weshalb ihnen schon bald das Geld auszugehen droht. Als es zu einem Streit zwischen den beiden kommt, stapft Elma wütend davon. Zu seiner großen Überraschung wird er kurze Zeit später von der Katze angesprochen, der er zuvor ein Zuhause geben wollte. Von ihr erfährt er von einer Insel, auf der ein Drache leben soll, der ihm bestimmen helfen könne. Und so macht er sich auf den beschwerlichen Weg, um doch noch den Laden seiner Mutter zu retten …
Hits in dem Sinn hatte Cartoon Saloon bislang keine, an den Kinokassen spielten die bisherigen Filme des irischen Animationsstudios nicht allzu viel ein. Gleichzeitig gilt es bei vielen als eines der besten der Gegenwart, mit einer ganz eigenen Handschrift, welche ihre Werke unverwechselbar machen. Die Kritiken sind hervorragend, durch die Bank weg: Alle vier Langfilme haben bei Rotten Tomatoes mehr als 90 Prozent erlangt, alle vier waren zudem als bester Animationsfilm des Jahres bei den Oscars nominiert. Hinzu kommt, dass ihre Produktionen eine der letzten nennenswerten Bastionen des 2D-Animationsfilms sind und immer wieder beweisen, wie viel sich aus vermeintlich veralteten Techniken herausholen lässt, genügend Fantasie vorausgesetzt.
Entsprechend riesig waren die Erwartungen an Der Drache meines Vaters, der fünfte Film von Cartoon Saloon. Zumindest auf Seiten der Fans. Bei Netflix, wo das Animationsabenteuer exklusiv erschienen ist, scheinen die Erwartungen jedoch geringer gewesen zu sein. Während die letzten drei Werke beim Toronto International Film Festival Premiere feierten, reichte es hier nur für das deutlich kleinere BFI London Film Festival. Dem Film ist zudem in den meisten Ländern kein Kinostart vergönnt, wodurch klar ist, dass es sich um keinen Prestigetitel handelt, im Gegensatz zu Weißes Rauschen oder Pinocchio. Beworben wurde der Film auch nicht, sondern zusammen mit massenweise anderen Titeln einfach kommentarlos rausgehauen. Das ist mindestens schade, wenn nicht gar ärgerlich. Ähnlich zu Wendell & Wild kürzlich wird da ein hochwertiger Animationsfilm bedeutender Filmschaffende geradezu weggeworfen.
Wobei man sagen muss: Im Vergleich zum vorangegangenen Quartett ist Der Drache meines Vaters tatsächlich schwächer. So hat man hier das Gefühl, dass doch etwas stärker auf die Möglichkeit eines Massenerfolges geschielt wurde. Ein junger Protagonist, der mit einem lustigen tierischen Sidekick unterwegs ist? Das ist eigentlich die Disney-Formel, nicht die von Cartoon Salon. Zum Teil ist das sicher der Vorlage geschuldet: Zugrunde liegt dem Film eine Trilogie von illustrierten Kinderbüchern, die Ruth Stiles Gannett zwischen 1948 und 1951 geschrieben hat. Im Gegensatz zu Nora Twomey erstem Langfilm Der Brotverdiener, der von einem Mädchen im von den Taliban besetzten Afghanistan erzählt, ist das hier alles entsprechend simpler und kindlicher. Die irische Regisseurin möchte primär ein junges Publikum ansprechen.
Das ist grundsätzlich erst einmal nicht verwerflich, zumal der Film sich mit Themen wie Angst, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit befasst. Er hat also schon mehr zu sagen als so mancher Animationsblockbuster. Dennoch ist das hier ein kleiner Rückschritt. Das gilt auch für die Optik. Zwar sind die Figuren noch deutlich als Cartoon Saloon zu erkennen – vor allem, wenn man sie mit dem Anime von 1997 vergleicht, die erste Adaption des Buches. Es gibt auch einige schöne Landschaftsaufnahmen oder anderweitig stimmige Settings, welche Elma durchquert. Die Messlatte, die das Studio mit den vorherigen Werken vorgelegt hat, ist dann aber doch zu hoch. Gerade nach dem Wunderwerk Wolfwalkers, welches auf geradezu schwindelerregende Weise mit Techniken, Farben und Licht arbeitete, hatte man sich mehr erhoffen dürfen. Aber auch wenn Der Drache meines Vaters nicht ganz das Niveau der übrigen Ausnahmefilme erreicht, für sich genommen ist das hier ein schönes Animationsabenteuer und eine Bereicherung für das Programm von Netflix, dem man wünschen würde, den überfälligen kommerziellen Erfolg zu bringen.
OT: „My Father’s Dragon“
Land: Irland, USA
Jahr: 2022
Regie: Nora Twomey
Drehbuch: Meg LeFauve
Vorlage: Ruth Stiles Gannett
Musik: Mychael Danna, Jeff Danna
Animation: Cartoon Saloon
Animation Is Film Festival 2022
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