Ein multinationales (12 Nationen) Projekt wie EastGRIP an einem solch entfernten Ort organisiert sich ja leider nicht von selbst. Deshalb gibt es jedes Jahr im Oktober oder November das sogenannte Steering Committee meeting bei unseren federführenden Kollegen des Niels-Bohr-Institutes in Kopenhagen. Obwohl es sich nach einem exklusiven Kreis anhört (Führungs- oder Leitungskomitee) sind hier doch wirklich alle Beteiligten des Projektes gerne gesehen. Wir haben dabei dieses Jahr einen Rekord erzielt, und über 100 Wissenschaftler und Logistiker nahmen an dem Treffen 2018 teil.
Der erste Teil des Treffens war ein zweitägiges wissenschaftliches Symposium, auf dem die ersten Daten aus EastGRIP zur Tiefbohrung bis 1700m bisher und zu assoziierten Projekten rund um das Camp vorgestellt wurden. Unsere AWI Wissenschaftler waren dabei an 14 der insgesamt etwa 30 Präsentationen als Erst- (6) oder Koautoren (8) beteiligt. Auch einige Mitglieder und Alumni der Eberhard Karls Universität Tübingen, die mit Experten aus der Geologie ein wichtiger Kooperationspartner für die Dynamik, Deformation und Struktur des Eisschildes ist, waren an der diesjährigen Saison und damit den wissenschaftlichen Ergebnissen beteiligt (https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/veroeffentlichungen/attempto.html). Das Spektrum dabei reichte von Spurenstoffmessungen, Messungen der Kristallanisotropy und der elektrischen Eigenschaften am Tiefkern, bis hin zu Wasserisotopenmessungen in Oberflächenschnee und geophysikalischen Anwendungen (radio echo sounding auch polarimetrisch) und mehr rings um die EastGRIP Station. Es war in der Tat spannend die Daten zu sehen und deren erste Interpretationen sich entwickeln zu hören. Wir wissen zum Beispiel schon, dass sich die Anisotropie im Polykristall des Eiskerns deutlich schneller ausbildet als in bisherigen Tiefbohrungen, auch dass sich diese Anisotropie durchaus gut mit polarmetrischen Radarmessungen abbilden läßt. Die elektrischen Eigenschaften des Eiskerns in Verbindung mit gewissen Spurenstoffen (z.B. von bekannten Vulkanereignissen) wurden bereits für eine erste Datierung des Kerns verwendet. Der Kern gibt zudem zum ersten Mal eine “ordentliche” Aufzeichnung der Paläoklimadaten des Holozäns aus Grönland her, was vor allem an der guten Kernqualität. Diese konnten die Drillers mit neuen technischen Tricks und auch sehr vorsichtigem Bohren liefern. Aber auch die Prozessierer (Bearbeiter) des Kerns mit vorsichtigem Vorgehen (z.B. auch vorübergehende Lagerung in einem gekühlten Container) haben dazu ihren Beitrag geleistet. Bisher war das nicht geglückt, da sich die holozänen Eisschichten in Grönland in der sogenannten “Brittle zone” befinden, wo die Luftblasen vom Auflastdruck so stark zusammen gedrückt werden, dass sie beim Entfernen der Druckzelle “Eisschild” zu platzen drohen, was vor allem bei schnellem Bohren, zu warmen Temperaturen und Handhabung passiert.
Die “Brittle zone” hat uns über große Teile der Saison dieses Jahr gut auf Trab gehalten, Bohrung, Handhabung und Prozessieren immer wieder zu überprüfen. Zum Beispiel wurde entschieden, um der Kernqualität willen, einen Teil dieses Tiefenabschnitts über den Winter ruhen (relaxieren) zu lassen und erst nächste Saison weiter zu verarbeiten. Da wir uns in EastGRIP ja auf einem Eisstrom, in gewisser Weise auf einer Eisautobahn Richtung Ozean, befinden, ist der Vergleich der internen Struktur innerhalb des Stromes mit Bereichen außerhalb besonders interessant. Das AWI UWB Radarsystem, dass uns gewissermaßen eine scharfe Brille auch für tiefere Schichten bietet (https://www.awi.de/im-fokus/eisschilde/das-neue-awi-eisradar.html), ist dafür ausgezeichnet geeignet. Die ersten Visualisierungen der Radardaten zeigen Faltenstrukturen gerade außerhalb der Scherränder des Eisstromes, die es in der nächsten Zeit hinsichtlich der Prozesse der Eisdynamik zu interpretieren gilt. Wasserisotope werden in allen Eiskernen als Temperaturproxy der Zeit, als das Material als Schnee gefallen war, verwendet. Allerdings ist der Transfer dieser Information in den Schnee und damit das Eis noch nicht vollständig verstanden. Ein umfangreiches Oberflächen Programm mit ausgeklügelten Probenahmeprotokollen von deponiertem Schnee und Messinge bezgl. der Schneeumverteilung durch Wind rings um die EastGRIP Station soll hier mehr Klarheit bringen. Auch dazu wurden auf dem Symposium neue, spannende Daten gezeigt. Man darf gespannt sein, welche neuen Erkenntnisse und Theorien aus all diesen Messungen in den nächsten Jahren entwickelt werden.
Der zweite Teil des Treffens in Kopenhagen war den Berichten (Bohrgeschäft, Logistik, praktische Arbeiten, Leben im Camp aber auch Finanzen) gewidmet. Besonders aufregend war dabei natürlich der Bericht zum Besuch des Eisbären, der eine etwa 400km langen und 2500 Höhenmeter überwindende Wanderung zu uns gemacht hat. Er war dieses Jahr auch nicht der einzige seiner Art, der auf dem Eisschild unterwegs war: ein Kollege verirrte sich tatsächlich auf die höchst- und grönlandzentral gelegene Summit Station unserer amerikanischen Kollegen. Mit dem Bärenbesuch in EastGRIP 2016 und weiteren Sichtungen auf dem Eisschild scheint sich doch etwas an den Lebensumständen der Tiere an der Küste zu ändern, denn in den letzten Jahrzehnten wurde von solchen Vorkommnissen nicht berichtet. Ein wichtiger Punkt bei diesem Bericht war natürlich die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen weiter zu verbessern, damit auch in Zukunft sicheres Arbeiten in EastGRIP möglich bleibt. Das wir von sicherem Arbeiten an einem solch abgelegenen und per sé lebensfeindlichen Ort sprechen können, ist vor allem der guten Infrastruktur des Camps geschuldet. Dennoch bleiben die niedrigen Temperaturen an sich und auch die Verwendung von schweren Maschinen und Werkzeugen prinzipiell risikobehaftet, was nur durch verantwortungsvolles Handeln aller weitgehend minimiert werden kann. Wie in vielen Berufen muss man sich auch in unserem als Glaziologen das hin und wieder vergegenwärtigen und Neulinge ausreichend schulen.
Der dritte Teil des Treffens beschäftigte sich dann mit den Planungen für die neue Saison, die z.T. bereits seit geraumer Zeit laufen. Zum Beispiel wurde schon vor Wochen verhandelt mit welcher Unterstützung der NY National Guarde wir rechnen können, die uns und unsere Ausrüstung mit Frachtmaschinen auf das Eis fliegen. Noch viel früher begannen die Vorbereitungen einer AWI Flugkampagne, die im kommenden Jahr verschiedene alte Punkte von Flachbohrungen aus den 90er Jahren in Nord-Grönland anfliegen soll. Dabei mußte schon im letzten Jahr nicht nur die Finanzierung gefunden werden, sondern vor allem auch Treibstoff für die Flugkampagne ins Camp gebracht werden. Um diese “alten” Kerne mit Paläoklimadaten der einiger Tausend Jahre bis in die 90er des letzten Jahrhunderts sozusagen “in die Zukunft (der 90er )” zu verlängern, sollen die seitdem gefallenen Schneeschichten nachgebohrt werden. Das wird uns Aufschluss darüber geben, wie sich die Erderwärumg, die in Grönland bisher nur bedingt in den Palaotemperaturen sichtbar ist, in den letzten Jahrzehnten dort entwickelt hat. Mit diesen spannenden Aussichten und vor allem mit der aufregenden Tiefbohrung, die dann in die tieferen Schichten des Eisstromes vordringt, warten wir alle, nicht untätig natürlich, vorfreudig auf die Saison 2019 im EastGRIP Camp.
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Ilka Weikusat