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Für unseren XC Race Fully-Vergleichstest 2020 waren sie noch nicht bereit, doch nun treten das neue Ghost Lector FS World Cup sowie das stark überarbeitete Merida Ninety-Six RC 9000 im Test gegeneinander an. Superfit Geometry und 120 mm Federweg bei Ghost treffen auf progressive Evolution und 100 mm Federweg bei Merida. Obwohl sie sich den Einsatzbereich vom Papier her teilen, könnten diese zwei Bikes kaum unterschiedlicher sein. Im Vergleichstest arbeiten wir die Stärken und Schwächen der beiden XC-Bikes heraus.
So unterschiedlich können Cross Country-Boliden sein! Bereits in unserem Cross Country Race-Vergleichstest im vergangenen Jahr, bei dem sich das Cannondale Scalpel, das Canyon Lux, das Trek Supercaliber und das Specialized Epic S-Works gegeneinander beweisen mussten, hat sich gezeigt, dass die Definition von Cross Country zurzeit neu geschrieben wird. In der Zwischenzeit hat auch Scott mit dem neuen Spark (zu unserem Scott Spark 2022 Test) für mächtig Furore auf und abseits der XC-Rennstrecken gesorgt. Nun schicken sich auch Merida und vor allem Ghost an, ihren Teil dazu beizutragen.
Das Ghost Lector FS will mit seinem TractionLink-Hinterbau, vor allem aber der grundsätzlich neu gedachten SuperFit-Geometrie das Rennen machen und wird im World Cup regelmäßig in der Spitzengruppe gesichtet. Das Merida Ninety-Six RC verkörpert hingegen eher Evolution und will mit bewährten Mitteln zurück an die Spitze des Feldes. Ganz im Sinne des World Cups sind die beiden Topmodelle zum Test vorgefahren und wir haben ihnen fast ein halbes Jahr lang die Sporen gegeben. Dabei haben sich zwei doch sehr verschiedene Charaktere gezeigt. Einen ersten Vorgeschmack darauf geben die folgenden Abbildungen:
Über die Schieberegler könnt ihr das Ghost und das Merida direkt im Bild miteinander vergleichen.
Auf den Bildern nicht zu erkennen ist, dass im Ghost Lector FS mehr steckt als ein ausgetüftelter Hinterbau und eine besondere Geometrie. Mit Reifeneinlagen gegen Durchschläge und Werkzeugen in den Lenkerenden hat es einige Details zu bieten, die im Cross Country durchaus ungewöhnlich sind. Es will den Einsatzbereich weiter definieren und bezieht dabei direkt noch das mehr oder weniger definierte Down Country sowie das eigentliche Mountainbiken – neudenglisch auch Trail – mit ein. Neben der reinen Frage, welches der beiden Räder der bessere Renner ist, gilt es auch einzuordnen, ob dieser Spagat gelingt oder zur Zerrung führt.
In wohl kaum einem anderen Einsatzbereich des Mountainbikens verschieben sich die Geometrien derzeit so stark wie im Cross Country. Ghost und Merida sind Teil dieses Prozesses. Während Merida angibt, für die Neuauflage des Ninety-Six dem Trend gefolgt zu sein, geht man bei Ghost direkt einen Schritt weiter. Einen großen Schritt. In Größe M übertrifft das Lector FS das Ninety-Six beim Reach mit 489 mm um volle 36 mm. Je nach Wettbewerber könnte das auch ein L- oder sogar XL-Rahmen sein. Zusammen mit etwas längeren Kettenstreben (440 zu 435 mm) und einem minimal flacheren Lenkwinkel (68 zu 68,5 °) führt das in der Summe dazu, dass das Ghost volle 68 mm mehr Radstand mitbringt (1.214 zu 1.146 mm).
Von den klassischen und inzwischen historischen XC-Geometrien mit um 70° Lenkwinkel und nur knapp über 1.050 mm Radstand in Größe M sind die beiden Räder damit deutlich entfernt. Im Test muss sich zeigen, wie leistungsfähig die Geometrien in der Praxis sind. Schließlich geht es im Cross Country auch im Jahr 2021 darum, die Kraft der Fahrer*in möglichst effizient auf die Strecke zu bringen. Beim ersten Aufsitzen stellt sich direkt die Frage, ob Ghost nicht (für den Moment?) einen Schritt zu weit gegangen sein könnte.
Die detaillierten Geometrie-Daten der beiden Kontrahenten zeigt die folgenden Tabelle:
Für unseren Vergleichstest haben sowohl Ghost als auch Merida die jeweiligen Topmodelle ins Rennen geschickt. Die Preise belaufen sich auf 8.849 € (Merida) und 7.999 € (Ghost) und sind damit beträchtlich. Schaut man jedoch zur Konkurrenz mit den Eckpunkten Specialized Epic S-Works und Canyon Lux, so liegen beide Räder in der „unteren Mittelklasse“. Verrückt – und kaum mehr nachvollziehbar. Aber rein von den Zahlen her ein Fakt.
Was gibt es für so viel Geld? Carbon an allen Ecken und Enden, aber auch vom Lenker aus verstellbare Vario-Sattelstützen – hier haben wir es mit zwei Vertretern des modernen Cross Country zu tun. Das zeigt sich zunächst auf der Waage: gut 10,6 kg wiegt das Merida, das Ghost bringt ca. 600 g mehr auf die Waage und kommt auf 11,2 kg. Beide Werte sind nicht wirklich leicht für XC-Topmodelle, aber eben auch Produkt des Zeitgeistes. Es geht heute nicht mehr nur um Leichtbau, sondern auch um Funktion.
Zeit, sich die Ausstattungen genauer anzuschauen. Bei den wesentlichen Komponenten lassen sich sowohl das Merida Ninety-Six RC 9000 als auch das Ghost Lector FS World Cup klar den beiden großen Lagern zuordnen. Merida schaltet mit Shimano (und aus Gewichtsgründen einer RaceFace Kurbel) und federt mit Fox, während bei Ghost SRAM und RockShox zum Zug kommen. Inhaltlich gibt es an diesen Entscheidungen weniger zu kritisieren als emotional, denn die Fans der jeweiligen Lager sind hinlänglich bekannt. In jedem Fall gibt sich hier niemand eine Blöße. Und da Merida die XTR Kurbel durch die Race Face Next SL ersetzt, hat die SRAM XX1 Eagle AXS am Ghost keinen Gewichtsvorteil.
Die Auswahl der Bremsen erfolgt entlang der Schaltungen. Erfreulich ist, dass sowohl Ghost als auch Merida am Vorderrad auf größere 180 mm-Scheiben setzen. Einigkeit herrscht auch insofern, als das beide mit einer Teleskop-Sattelstütze (Merida: Fox Transfer, Ghost: Eightpins) ausgerüstet sind. Erfreulich gering ist der Anteil gelabelter Hausteile. So rollt das Ghost auf hauseigenen Laufrädern (Merida: DT Swiss), während beim Konkurrenten im Duell ein Merida-Cockpit zum Einsatz kommt (Ghost: Syntace). An allen weiteren Komponenten setzen beide Hersteller durchgängig auf hochwertige und etablierte Marken.
Woher kommt also der Gewichtsunterschied? Ghost verrät zwar das Gewicht des eigenen Rahmens hartnäckig nicht (und wir haben ihn auch nicht demontiert, um alles zu wiegen), doch daran wird das Mehrgewicht von gut 600 g gegenüber dem Merida und über 1,3 kg gegenüber Trek Supercaliber und Specialized Epic kaum liegen. Zwar ist der Hinterbau konstruktionsbedingt schwerer als der des Merida. Doch die eigentliche Differenz begründet sich in den Details der Ausstattung. Ghost verfolgt beim Lector FS auch in der World Cup-Ausstattung einen etwas anderen Ansatz.
Das beginnt bei den 120 mm Federweg, die es ab Größe M mitbringt. Das alleine wiegt zwar nichts, doch zeigt es, wo es hingehen soll. Gewichtstechnisch drücken nämlich die im Lenker versteckten SmartTube-Werkzeuge sowie die Reifeneinlagen gegen Durchschläge empfindlich auf die Waage. In Verbindung mit dem schwereren Hinterbau und nicht zuletzt auch dem einfach längeren und höheren Rahmen an sich kommt so das Mehrgewicht zustande.
Doch ist es das wert? Hierzu geht es ab auf den Trail, wobei wir bei den wichtigsten Ausfahrten dieses Tests die Räder jeweils hintereinander auf identischer Strecke gefahren sind.
Bergauf, bergauf – immer weiter und immer schneller. Wenn es eine Fahrtrichtung gibt, für die XC-Bikes gemacht sind, dann ist es der Uphill. Im Vergleich lässt das Merida dem Ghost hier keine Chance. Mit seiner sehr tiefen Front und der leicht gestreckten Sitzposition (vorausgesetzt der Sattel ist ganz nach vorne geschoben) sowie dem geringen Gewicht stürmt es ab der ersten Pedalumdrehung gierig voran. Kurze Anstiege verschwinden so komplett, längere verlieren ihren Schrecken. Technische Kletterei unterstützt der Hinterbau mit viel Traktion, könnte jedoch zugunsten des Sitzwinkels und der Tretlagerhöhe noch etwas linearer arbeiten. Ein leichter Durchhänger im mittleren Federwegsbereich kostet die Bestnote.
Ganz anders zeigt sich das Ghost. Mit positiv steigendem, kurzen Vorbau sowie ohnehin schon hohem Stack sitze ich hier trotz sehr langem Reach aufrechter. Das Setback der Eightpins-Sattelstütze verlagert den Schwerpunkt ungünstig nach hinten. Da hilft es nicht, dass der Hinterbau ausgesprochen antriebsneutral arbeitet. Im wahrsten Sinne des Wortes kommt dann noch das höhere Gewicht erschwerend hinzu. Und in engen, verwinkelten Streckenabschnitten ist das Rad gefühlt eine Nummer zu lang und fühlt sich sperrig an. Kurzum: keine Chance für das Ghost im Uphill-Duell.
Bergab wendet sich das Blatt. Während das Merida sich mit besonders tiefer Front auch trotz abgeflachtem Lenkwinkel und gewachsenen Reach als konventionelles XC-Rad offenbart, geht das Ghost in die Vollen und zieht die Vorzüge seiner Ausstattung. Es verträgt mit seinen Reifen-Inserts weniger Reifendruck und federt an Front und Heck souveräner. So bietet es mehr Traktion und Fahrstabilität, was unmittelbar zu einem höheren Tempo führt.
Die Grenze setzen dabei trotz Einlagen wie so oft die Reifen. Voraussetzung ist jedoch, dass man mit viel Last auf dem Vorderrad fährt und das Rad aktiv und mit Nachdruck bewegt. Sonst geht einem schneller die Traktion aus, als einem lieb ist. Kurzum: ein doch spürbarer Vorteil für das Ghost im Downhill.
Und in der Ebene? Da fühlen sich beide Räder gut an, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Das Ghost kann bei aktiver (und kraftintensiver) Fahrweise sehr dynamisch bewegt werden. Das Merida ist von sich aus agiler unterwegs. Welches Rad macht dabei mehr Spaß? Es ist schon beeindruckend, was der Hinterbau des Ghost leisten kann. Doch es ist für mich etwas zu lang und auch zu hoch, wodurch es relativ sperrig zu bewegen ist – oder weit überdurchschnittlich viel Körpereinsatz erfordert. Ganz anders das Merida. Hat man sich einmal an die tiefe Front gewöhnt, ist es denkbar einfach, mit diesem Bike schnell zu fahren. Das macht Spaß.
Sowohl das Ghost Lector FS als auch das Merida Ninety-Six RC sind in der jüngsten Überarbeitung wettbewerbsfähige Cross Country-Bikes im oberen Preissegment. Die Evolution bei Merida hat dazu geführt, dass das Ninety-Six ein hervorragender Allrounder für schnelle Sprints und lange Marathons ist. Es lässt sich einfach schnell fahren und zeigt sich gut durchdacht. Lediglich sein Hinterbau könnte noch etwas linearer arbeiten und alle Nicht-Rennfahrer freuen sich über ein bis zwei kleine Spacer unter dem Vorbau.
Im Vergleich dazu bläst Ghost zur Revolution. Das Lector FS hat in der getesteten Ausstattung beeindruckendes Abfahrtspotential, zahlt dafür jedoch mit hoher Front und hohem Gewicht im Uphill. Die Geometrie muss man mögen und daher vor allem testen – für mich hat Ghost es beim Thema SuperFit im Moment einen Schritt zu weit getrieben. So geht am Ende das Merida Ninety-Six RC als Sieger aus diesem XC-Duell hervor.
Das Merida Ninety-Six RC 9000 fühlt sich beim ersten Aufsitzen direkt nach einem klassischen Renngerät an. Die Sitzposition stimmt und ist der Ausgangspunkt, um mit der zeitgemäßen Geometrie Tempo zu machen. Bergauf klettert es mit sehr tiefer Front und traktionsstarkem Hinterbau willig. Leider wippt der Hinterbau etwas zu sehr und leistet sich einen kleinen Durchsacker im mittleren Federwegsbereich. Bergab können Geometrie und Fahrwerk überzeugen, solange es nicht zu technisch wird. Wird es wilder und schneller, erfordern die tiefe Front und der knappe Federweg eine kundige Hand am Lenker. Die Ausstattung am Topmodell ist wie zu erwarten durchweg hochwertig und leicht, wird jedoch auch mit einem stolzen Preis erkauft.
Zum vollständigen Artikel: Merida Ninety-Six Test
XC-World Cup, Down Country oder leichtes Trail-Bike? Das Ghost Lector FS springt je nach Ausstattung und Setup zwischen den Kategorien. Seine außergewöhnlich lange Geometrie sucht im Wettbewerb seinesgleichen und mit dem leistungsfähigen TractionLink-Hinterbau mit 120 mm Federweg und abfahrtsorientierten Ausstattungsdetails zeigt es den Weg hin zu einer neuen, technisch anspruchsvolleren Definition von Cross Country. Das alles schlägt jedoch aufs Gewicht, die Agilität und die Kletterfreudigkeit. Der Hinterbau hingegen weiß in jeder Situation zu überzeugen – ganz zu schweigen von der ansprechenden Optik. Der Preis ist ähnlich selbstbewusst wie die Geometrie, kann sich im Vergleich zur Konkurrenz jedoch sehen lassen.
Je nach angepeiltem Einsatzbereich sollte man sich überlegen, ob man nicht die ein oder andere Anpassung an der Ausstattung vornimmt. Die Bikes des World Cup-Teams zeigen, wie vielfältig das Ghost Lector FS aufgebaut werden kann. Mit schwereren Reifen und einem etwas dickeren Dämpfer hätte es definitiv das Zeug zu einem schnellen, langen Trail-Bike. Mit richtig tiefem Cockpit und konsequent auf Gewicht optimiertem Aufbau kann es, wie bewiesen, im World Cup mitfahren. So bleibt am Ende die Frage, was das Ghost Lector FS eigentlich sein will. Und ob einem seine Geometrie unter Umständen nicht doch eine Spur zu extrem ist. Probefahren wärmstens empfohlen!
Zum vollständigen Artikel: Ghost Lector Test
Progressiv oder radikal: Welchen Ansatz bevorzugst du im Cross Country?
So haben wir das Ghost Lector FS World Cup und das Merida Ninety-Six RC 9000 getestet:
Alle Artikel diese Vergleichstests zum Nachlesen:
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