Italien in den 1930ern: Einst war Geppetto ein gefragter und beliebter Holzschnitzer. Doch seitdem sein Sohn bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen ist, ist er ein gebrochener Mann. Dem Holz hat er abgeschworen, stattdessen betrinkt er sich den ganzen Tag. Als er in seinem Schmerz eines Tages eine Puppe in Andenken an seinen Sohn anfertigt, wird eine Fee auf ihn aufmerksam und erweckt diese zum Leben. So richtig viel kann Geppetto mit der Puppe, der er den Namen Pinocchio gibt, nicht anfangen. Nicht nur dass sie ihm unheimlich ist, in ihrem Übermut macht sie zudem alles in seiner kleinen Tischlerei kaputt. Dennoch beschließt er, den hölzernen Ersatzsohn erst einmal zu behalten und bekommt Unterstützung von einer kleinen Grille. Doch auch mit vereinten Kräften können sie nicht verhindern, dass Pinocchio zunehmend in Schwierigkeiten gerät …
Stop-Motion-Fans haben dieses Jahr eine Reihe von Gründen, weswegen sie Netflix dankbar sein dürfen. So gab es gleich zu Beginn die sehenswerte Anthologie The House, bei der eine Reihe namhafter Nachwuchs-Filmschaffender ihr Können unter Beweis stellen durften. Kürzlich erschien das skurril-dämonische Wendell & Wild, eine Zusammenarbeit von Henry Selick und Jordan Peele. Und nun kommt mit Guillermo Del Toros Pinocchio bereits der dritte Hochkaräter innerhalb eines Jahres, der sich dieser altehrwürdigen Animationstechnik verschrieben haben. Bei diesem Titel scheint der Streamingdienst auch höhere Erwartungen zu haben. Während die beiden obigen Werke nur versteckt auf den Markt kamen und dadurch Geheimtipps blieben, wird dieser Film sogar kurzzeitig in den Kinos zu sehen sein. Und sei es nur, damit eine Oscar-Nominierung reine Formsache bleibt.
Wobei alles andere bei diesem Staraufgebot ein cineastisches Verbrechen gewesen wäre, denn auch hier gibt es große Namen in Massen – vor wie hinter der Kamera. Nicht nur dass der mexikanische Regisseur, der durch Filme wie Shape of Water – Das Flüstern des Meeres Weltruhm genießt, das Ganze inszeniert hat. Das Drehbuch verfasste er mit Patrick McHale, dem Schöpfer der Kultserie Hinter der Gartenmauer. Bei der Produktion war die berühmte Jim Henson Company beteiligt, die wie keine andere mit dem Thema Puppenanimation verbunden wird. Und dann wären da noch die zahlreichen Schauspielgrößen, die Pinocchio ihre Stimmen geliehen haben. Unter anderem sind Ewan McGregor, Christoph Waltz, Tilda Swinton und Cate Blanchett zu hören – wobei Letztere viele bestimmt erst durch die Credits erkennen werden, da ihre Stimme auf eine tierisch eigenwillige Weise verfremdet wurde.
Aber auch beim Inhalt gibt es Verfremdungen, zumindest im Vergleich zur bekannten Vorlage von Carlo Collodi. So verlegte del Toro die Handlung der 1881 erschienenen Fortsetzungsgeschichte ins faschistische Italien der 1930er. Immer wieder wird der Krieg eine Rolle spielen, ähnlich zu seinem grandiosen Fantasydrama Pans Labyrinth kombiniert der mexikanische Filmemacher Kriegsschrecken, Märchen und Coming-of-Age-Elemente zu einem ganz besonderen Werk. Dieses ist deutlich düsterer, als es die meisten Adaptionen sind, die auf den Abenteuern von Pinocchio basieren. So beginnt diese Version mit dem besagten Bombenangriff und dem Alkoholismus von Geppetto. Auch später wird es immer wieder düstere Passagen geben, in denen beispielsweise der Tod eine große Rolle spielt.
Dabei gibt es durchaus auch lockere Passagen, in denen Pinocchio auf Humor setzt oder Lieder anstimmt. Doch selbst dann sollte man keine Disney-Neuauflage erwarten, es bleibt bei der düsteren Grundausrichtung. Dass Guillermo del Toro viele Jahre dafür kämpfen musste, um das Geld für sein Herzensprojekt zusammenzubekommen, ist kein Wunder. Doch dieses wurde gut angelegt. Die Netflix-Version ist der kürzlich auf Disney+ veröffentlichten haushoch überlegen, inhaltlich wie visuell. Während die Puppe bei den Kollegen nach Plastik aussah, ist hier tatsächliches Holz zu sehen. Der gesamte Film hat den Charme des Handgemachten, wenn mit großem Aufwand eine eigene Welt zum Leben erweckt wurde. Was nicht ganz so gut funktioniert, ist die Moral zum Ende, die sich etwas mit der gezeigten Entwicklung beißt. Dieser Aspekt hätte deutlich konsequenter verfolgt werden müssen. Doch trotz des kleinen Mankos: Die lange Wartezeit war es wert, Guillermo Del Toros Pinocchio ist ein echtes Animationshighlight, das aufgrund der zahlreichen Details im Idealfall tatsächlich im Kino genossen werden sollte.
OT: „Guillermo del Toro’s Pinocchio“
Land: Mexiko, USA
Jahr: 2022
Regie: Guillermo del Toro, Mark Gustafson
Drehbuch: Guillermo del Toro, Patrick McHale
Vorlage: Carlo Collodi
Musik: Alexandre Desplat
Kamera: Frank Passingham
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