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Ingrid Andress. Bei dem Namen, das haben wir auch schon über ihr Debüt-Album aus dem Jahr 2020 bemerkt, denkt man nicht unbedingt an eine Amerikanerin. Und noch viel weniger an eine Country-Sängerin. Ihr Name erinnert, okay, wir wiederholen uns, an eine Schlagersängerin aus den 50er Jahren oder an eine skandinavische Schauspielerin. So aber ruft uns diese Ingrid Andress ins Gedächtnis, dass Namen eben nur Schall und Rauch sind und keine echten Rückschlüsse auf Herkunft oder gar kulturelle Orientierung zulassen.
Ingrid Elizabeth Andress ist, der Vollständigkeit halber, eine am 21. September 1991 (Happy Birthday!) in Michigan geborene und im Prärie-Staat Colorado aufgewachsene Country-Sängerin. Eine überaus erfolgreiche dazu. Während ihre Debüt-Single “More Hearts Than Mine” 2019 noch für einen Achtungserfolg sorgte, schlug ihr ein Jahr später veröffentlichtes Premiere-Album “Lady Like” ein wie die buchstäbliche Bombe: Platz neun in den Country- und Platz 90 in den Billboard-Pop-Charts. Nicht übel! Noch beeindruckender aber sind ihre kassierten Preise und Awards. Es hagelte reihenweise Nominierungen. Darunter eine CMT- und, oha!, gleich drei Grammy-Nominierungen. Noch dazu in den Kategorien “Best New Artist”, “Best Country Song”, “Best Country Album”. Einen besseren Start kann man sich kaum erträumen.
Aber: Der Erfolg kommt bei Ingrid Andress auch nicht von ungefähr. Die Künstlerin ist zum einen hochtalentiert, zum anderen ehrgeizig und höchst professionell. Schon als Kind lernte sie Schlagzeug und Klavier, nahm schon bald bei Gesangswettbewerben teil und bekam ein Stipendium am renommierten Berklee College of Music, wo sie die Hauptfächer Songwriting und Performance belegte. Mit einem Diplom in der Tasche ging sie nach Nashville und machte da schon bald als Songwriterin auf sich aufmerksam. Zu ihrer prominenten Kundschaft gehörten u.a. Country-Star Sam Hunt und die R&B-Größe Alica Keys.
Das belegt nicht nur das enorme künstlerische und kreative Potential der Newcomerin. Es weist Ingrid Andress auch als Songschreiberin aus, die mit allen Genre-Wassern gewaschen ist. Diese stilistische Elastizität beweist sie jetzt auch auf ihrem neuen Album “Good Person”. Mühelos bedient sie ein romantisch veranlagtes, nachdenkliches Pop-Publikum (Titelsong “Good Person”, “Seeing Someone Else”), sensible Folk-Fans (“Yearbook”) und – nicht zuletzt – Freunde des modernen Country-Pop-Sounds à la Lady A (“Talk”, “How Honest Do You Want Me to Be”). Diese musikalische Spannbreite breitet sie bereits in den ersten fünf Tracks des Song-Dutzends von “Good Person” aus.
Auch wenn sich mühelos die unterschiedlichen musikalischen Einflüsse in ihren Songs ausmachen lassen, klingen die Tracks von “Good Person” dennoch – wie es so schön heißt – “aus einem Guss”. Zum einen ist dafür ihre gleichzeitig zerbrechlich und kräftig wirkende, sehr individuell klingende Stimme verantwortlich, zum anderen ihr dynamischer, rhythmisch akzentuierter Vortrag. Man hört, dass die Dame Schlagzeug gelernt hat. Ihre Vocals grooven!
In dieser Form macht Ingrid Andress sogar dem Multi-Talent Lady Gaga Konkurrenz. Wer’s nicht glaubt, muss nur mal in die sehr gefühlvolle, dennoch alle Kitsch-Klippen umschiffende Trennungs-Ballade “No Choice” reinhören. Ein Song, ganz auf den “Star is Born”-Hit “Shallow” gebürstet. Also mit verhaltenem, fast gehauchtem Beginn und mit voller Kehle im Refrain. Großes Gefühls-Kino! Für meinen Geschmack um einen Tick zu viel Tränendrüsendrücken, aber das ist freilich Geschmackssache.
Emotional geht es weiter: “Pain” (eine weitere Ballade), “Feel Like This” (viel Klavier, Vocals im R&B-Style, Alica Keys lässt grüßen), “Blue” (herrliches Country-Rührstück mit viel Klavier und Pedal-Steel) und “Falling for You” (klasse harmonischer Country-Pop). Mit dem elfenhaften “All The Love I Have” und dem träumerischen, erneut ganz auf hübschen Klavier-Akkorden basierten “Things That Haven’t Happened Yet” beendet Ingrid Andress ihr zweites Album. Mehr Pop als Country. Aber jede Menge Qualität!
Fazit: Ingrid Andress hat’s drauf. Sie kann singen, Songs schreiben, sie ist Co-Produzentin und tolle Musikerin. Fans des traditionellen Country dürften nicht so viel mit “Good Person” anfangen können, alle anderen werden sich über zwölf eingängige, größtenteils ruhige (Country)Pop-Songs freuen.