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Die Energiekrise erfordert ein Umdenken in der Industrie: Statt auf Sparkurs zu gehen, sollten Unternehmen in KI-Lösungen investieren, schreibt Nils Seele, Partner beim strategischen Investor Lea Partners. Damit das klappt, muss die Politik fünf Grundvoraussetzungen schaffen.
von Nils Seele
veröffentlicht am 13.01.2023
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Die Politik mahnt die Bürger:innen zum Energiesparen. Gleichzeitig fahren vor allem energieintensive Unternehmen ihre Produktion herunter, weil die Preislast zu groß ist. Mit rund zehn Prozent unter dem Niveau vom Jahresanfang 2022 verzeichneten insbesondere die energieintensiven Bereiche des verarbeitenden Gewerbes deutliche Rückgänge, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Angesichts dieser Entwicklungen ist es höchste Zeit umzudenken und geeignete Wege zu suchen, den Energieverbrauch zu reduzieren. Speziell in der Industrie kann Künstliche Intelligenz dabei helfen, Ressourcen einzusparen – mit positiven Effekten für die Umwelt und um die Produktion am Laufen zu halten. Es gibt bereits zahlreiche Lösungen aus Deutschland, die genau hier ansetzen.
Unternehmen müssen mehr in KI investieren
Demgegenüber steht jedoch die Realität: Nur neun Prozent der Unternehmen setzen laut einer Untersuchung des Bitkom bereits KI ein. Für 64 Prozent der Unternehmen ist KI demnach kein Thema – ein Plus von fünf Prozent gegenüber 2021. Angesichts des konjunkturellen Abschwungs aber auch großer makroökonomischer Themen wie dem Klimawandel müssen Unternehmen ihre Bemühungen und Investitionen in die Schlüsseltechnologie intensivieren. Gleichzeitig müssen die notwendigen Grundvoraussetzungen für eine leistungsfähige KI geschaffen werden, die da wären:
1) Eine europäische KI-Wertschöpfungskette als Basis: Damit deutsche Unternehmen durch KI entscheidende Wettbewerbsvorteile erzielen können, braucht es vertrauenswürdige und verlässlich funktionierende KI-Systeme. Grundlage dafür bilden beispielsweise unabhängig prüfbare technische Standards und Normen, die eine neutrale Bewertung der Systeme ermöglichen und Unternehmen und Verbraucher:innen Auskunft über zugesicherte Eigenschaften von KI-Technologien geben. Auf diese Weise werden Unternehmen nicht im Regen stehen gelassen und können sich darauf verlassen, dass die eingekauften Systeme hohen Standards entsprechen. Insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Bedenken hinsichtlich außereuropäischer KI-Technologie ist der Bedarf an einer europäischen KI-Wertschöpfungskette akuter denn je.
2) Sauberes Datenmanagement und konsistente Datenbasis: Die zentralen Stichwörter lauten Transparenz und Datenqualität. So müssen die verschiedenen Datenquellen aufeinander abgestimmt und die Daten korrekt, konsistent, zugänglich, nutzbar und sicher sein, sowie entsprechend vor- und aufbereitet werden. Denn nur wenn die Grundlagen stimmen, profitieren Unternehmen von dem vollen Potenzial der KI und können ihre Geschäftsprozesse umfassend optimieren.
Eine unsaubere Vorgehensweise wirkt sich hingegen negativ auf die Leistungsfähigkeit der KI aus und schadet im Worst Case mehr, als dass sie nutzt. Zusätzlich müssen Unternehmen klare Prozesse definieren, die festlegen, wie Daten erzeugt, verwaltet und analysiert werden. So schaffen sie eine solide Basis für die Skalierung und fördern neue Implementierungen. Darüber hinaus lohnt es sich, eine zentrale Plattform einzurichten. Mit Hilfe von KI lassen sich dort Daten speichern, analysieren und für themenspezifische KI-Anwendungen verfügbar machen.
3) Regulierung sollte Raum für Entwicklungen und Trial-Phase lassen: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen jungen Unternehmen genügend Raum für die klassische Trial-Phase geben, die am Anfang jeder Idee steht. Gerade zu Beginn brauchen Entwicklerteams, denen bisher die umfangreichen Erfahrungen eines großen Unternehmens fehlen, Möglichkeiten, sich und ihr KI-System auszuprobieren. Es wäre daher gut, würde der AI Act der EU nachgebessert werden, um genau diese Testphase zu ermöglichen, statt sie wie in der aktuellen Version faktisch unmöglich zu machen.
4) Stärke Zusammenarbeit von Start-ups und Old Economy: In Deutschland gibt es bereits herausragende Unternehmen wie Aleph Alpha, die die neue Generation von KI-Modellen wesentlich prägen, oder Smart Steel Technologies, die Prozesse in großen Unternehmen optimieren, ihnen zu Produktivitätsgewinnen verhelfen und sogar CO2 einsparen. Besonders das Beispiel von Smart Steel zeigt: In einer Zeit, in der die deutsche Stahlindustrie Minusrekorde einfährt kann KI ein entscheidender Treiber für Profitabilität sein. Statt sie als Zukunftsthema anzusehen, sollten Unternehmen die Technologie als Hilfsmittel begreifen, das bereits heute dazu beitragen kann, Probleme zu bewältigen.
5) Zuwanderung von IT-Fachkräften erleichtern: Grundsätzlich ist die Zuwanderung hierzulande oft viel zu negativ besetzt und mit der Angst verbunden, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Eine falsche Annahme, insbesondere weil Deutschland schon seit Jahren eine Abwanderung von IT-Talenten in Richtung USA und China erlebt. Da sich der Fachkräftemangel in Deutschland zuspitzt muss mit konkreten Maßnahmen gegengesteuert werden. Eine wesentliche Stellschraube ist die Zuwanderung. Daher ist das Vorhaben der Bundesregierung begrüßenswert, beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz nachzubessern, damit gut ausgebildete Talente aus Drittstaaten noch einfacher und schneller für den deutschen Arbeitsmarkt rekrutiert werden können.
Schon heute hat die Schlüsseltechnologie KI das Potenzial, Unternehmen zu erheblichen Kosteneinsparungen zu verhelfen und die Produktionsqualität zu verbessern – mit positiven Effekten für die Umwelt. Dies gilt etwa bei der Stahlerzeugung, wenn Unternehmen wie Arcelor Mittal oder Marienhütte dank KI-Lösungen weniger Energie verbrauchen und Ressourcen schonen. Leider haben solche Kooperationen zwischen Start-ups und Corporates noch einen starken Seltenheitscharakter. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des derzeitigen Marktumfeldes und der großen makroökonomischen Herausforderungen unserer Zeit müssen diese Partnerschaften raus aus der Nische und in der breiten Masse der Unternehmen ankommen.
Nils Seele ist Partner bei der Beteiligungsfirma Lea Partners. Seit fünf Jahren baut und investiert er in Deep-Tech-Firmen, darunter Aleph Alpha, sevDesk oder Flip.
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