Auf seinem neuen Album “Der Perfekte Moment … Wird Heut Verpennt” zeigt Max Raabe keinerlei Berührungsängste mit Popmusik – und lässt seinen Opernbariton gelegentlich sogar zu Ukulele und Steeldrum erklingen. Nur muss eines klar sein: Max Raabe kommt nicht zum Pop, der Pop kommt zu Max Raabe.
Dafür hat Raabe sein Kreativteam erweitert. Neben seiner Langzeit-Kollaborateurin Annette Humpe waren diesmal auch Rosenstolz – genauer gesagt Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust, als Songschreiber und Produzenten mit an Bord. Die dritte Partei im Bunde: Achim Hagemann, bekannt unter anderem als Autor des Stücks “Hurz” von Hape Kerkeling.
Wir treffen Herrn Raabe in den noblen Gemäuern des Soho House Berlins, wenige Stunden, bevor er im selben Gebäude die Stücke seines Albums einer geladenen Schar an Gästen vorspielt.
Lassen Sie uns über den Albumtitel ihrer neuen Platte sprechen. “Der perfekte Moment”, das ist ein Begriff der in der deutschsprachigen Popmusik in seiner “Carpe diem”-Seligkeit inflationär verwendet wird. Bei Ihnen ist es aber ganz anders: Da wird der perfekte Moment ganz nonchalant verpennt.
Die Frage war: Wie soll das Stück heißen? In dem Stück singe ich ja “Heute mach ich gar nichts”, das wäre kein guter Titel für ein Lied. Wir haben die Zeile “Der perfekte Moment” aus dem Stück genommen. Das klingt erst einmal so, wie in der Popmusik heutzutage Titel heißen. Im Stück reimt sich aber auf den perfekten Moment “wird heut verpennt”. Das haben wir als Untertitel dazu genommen, damit es erst mal so aussieht, als wäre alles positiv und super. Und dann da drunter, typisch für unser Repertoire, der ironische Bruch.
Sie haben zum ersten Mal mit Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust von Rosenstolz zusammengearbeitet. Wie kam es zu dieser Kollaboration?
Es war ganz einfach. Annette Humpe und ich hatten ja schon zwei Stücke geschrieben. Als wir irgendwann zusammenstanden und über eine zukünftige Scheibe nachgedacht hatten, meinte sie: “Eigentlich haben wir doch über alle Themen schon geschrieben. Uns fallen bestimmt noch ein, zwei Lieder ein – aber frag doch mal die Jungs von Rosenstolz. Die stehen da drüben”, das war nämlich auf einer Party. Ich bin gleich hingedackelt und sie sagten ja. Dann habe ich noch Achim Hagemann gefragt, den ich eh kenne. So hatten wir auf einmal ein Dreierteam von Popfachkräften am Start – und mich sozusagen als Bindeglied. Das war sehr spannend.
Waren Sie da schon mit der Musik von Rosenstolz vertraut?
Nur peripher. Wir trafen uns mal auf einer gemeinsamen Veranstaltung, bei der ich sie angesprochen habe, wie ihnen das ganze gefiel. Ich kannte ein bisschen was von ihnen, aber nicht sehr viel.
Sie bauen ja mit Ihren Stücken auf einem recht exklusiven Katalog der Zwanziger- und Dreißigerjahre auf. Setzen sich bei Neukompositionen selbst gewisse Richtlinien oder erlauben Sie sich, in alle möglichen Richtungen auszuschlagen?
Ich kann gar nicht anders. Der Grund, warum ich das Repertoire der Zwanzigerjahre liebe, ist dieser Humor in den Stücken, die Eleganz in den musikalischen Bögen, die Art der Orchestrierung. Eigentlich wollte ich die Haltung, wie man über ein Thema spricht – und es geht meistens um zwischenmenschliche Beziehungen – in den Texten in die Gegenwart tragen. Wenn ich dann aber noch selber Musik schreibe, wie ich es bei “Kein Schwein Ruft Mich An” oder “Rinderwahn” getan habe, dann klingt es nach der Musik der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Das wollte ich nicht. Ich wollte keine nachgemachte Zwanzigerjahre-Musik machen, sondern die Haltung dieser Musik in die Gegenwart tragen. Dann muss aber auch das musikalische Fundament zeitgemäß sein – und poppig. Darum also Popfachkräfte fragen und sich inspirieren lassen und etwas zusammen schreiben.
Es ist ja sehr sommerlicher Pop …
Finde ich auch, ja.
Könnte man es Ihr Spätsommer-Album nennen?
Ja. Hochsommer bis Spätsommer (lacht).
Auf Ihrem neuen Album hört man Steel Drums, eine Ukulele, ganz neue Färbungen.
Das liegt an den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite. Das fing bei den Rosenstölzern an. Die ersten Fundamente und Beats, die sie mir angeboten haben: Da ist mir der Kitt aus der Brille gefallen. Wir haben aber erst mal dran gearbeitet, aber nach und nach – ohne dass ich was sagen musste – wurde es zurückhaltender. Weil sie eben festgestellt haben, dass ansonsten für den erzählerischen Ton der Stücke zu viel Konkurrenz besteht. Für den erzählerischen Charakter ist ein zu heftiger Beat, eine zu heftige Instrumentation störend.
Sie haben ja einen sehr eigenen, ausgeprägten Stil. Wie schwer ist es für Sie, mit jemand neuen zu arbeiten, der Sie noch nicht so gut kennt?
Da müsste man eigentlich die fragen. Aber sie haben sich inzwischen ja schon geäußert und man weiß, dass sie Spaß gehabt haben. Sie hätten sonst ja auch gesagt: “Tschüss, wir haben andere Sachen zu tun, als mit einem komplizierten Charakter den Tag zu zerschießen.” Die fanden das, glaube ich, ganz spannend mal mit jemandem zusammenzuarbeiten, der ganz anders tickt als Sie.
Aber es gehört ja auch von Ihrer Seite eine Vertrauensbasis dazu, jemanden ans eigene Werk zu lassen.
Naja, was heißt eigenes Werk. Die Sachen, die wir zusammen erarbeitet haben, gab es ja vorher noch nicht. Und wenn jemand einen Rhythmus, eine Melodie, irgendetwas vorschlägt, was mir nicht gefällt, dann sage ich das auch. Dann zwingt ja einen auch niemand. Die Situation hat es aber nie gegeben. Man sagt das aber auch sofort: “Ach, nee”. Oder ich singe eine Formulierung, bei der sie dann sagen “Lieber nicht” oder “Das finde ich hier nicht passend”. Diese Offenheit war immer da und ich habe sie nie als kränkend empfunden. Ich war nie eingeschnappt, wenn mal ein Vorschlag von mir abgelehnt worden ist. Oder eher eine Formulierung, ein Satz, ein Wort. Das war bei Annette Humpe auch schon so: man geht gnadenlos mit seinen eigenen Sachen vor Gericht. Nur so ist es möglich, dass am Ende ein wasserdichter Text rauskommt, eine konsequente Geschichte.
Wie sieht ihr Schreibprozess aus?
Mal so, mal so. Manchmal ist tatsächlich eine Idee, eine Zeile zuerst da. Manchmal war es auch: “Guck mal, wir haben wir folgende Harmoniefolge, diesen Beat, was hältst du davon?”. Dann schaut man, ob man etwas daraus machen kann, in irgendeiner Weise improvisieren. Durch dieses ganz Spielerische kommen da manchmal Ideen. Manchmal biegt man tagelang an einer Idee herum und es kommt nichts dabei raus. Manchmal überschlagen sich die Formulierungen, man lacht sich tot und kommt gar nicht hinterher mit dem Aufschreiben. Ein richtiges System hat es nicht gegeben, sondern unbändiges Drauflosbasteln.
Bei Kollaborationen: Sitzt man im selben Raum, wenn man die Stücke erarbeitet, oder schießt sich die Bälle digital zu, via E-Mail oder wie auch immer?
Küchentisch bei Annette Humpe. Studio bei den Jungs von Rosenstolz und Wohnzimmer oder Klavier mit Achim Hagemann. So ungefähr. Ulf Sommer und Peter Plate haben noch den fantastischen Daniel Faust. Man sitzt da, probiert etwas aus. Man hat eine Zeile, einen Melodiebogen, eine Idee. Dann verlassen wir das Studio und Daniel Faust arbeitet an dem Band weiter. Und wir sitzen nebenan irgendwo und schreiben eine Geschichte, reimen weiter. Dann laufen wir nach einer Stunde wieder zu Daniel zurück, ich nehme den Zettel, stelle mich vors Mikrophon und singe es zum ersten Mal ein. Wir hören dann gleich, ob das der richtige Weg ist, oder ob wir uns vergaloppieren. Aber es war oft so, dass ich am Abend nach Hause gefahren bin und mir etwas anhören konnte, was es vorher noch nicht gab. Etwas, das schon fast klang wie ein Stück, aber irgendwo versandete, weil die Geschichte noch nicht weitererzählt worden ist. Während ich mit Annette oft nur die Melodie und den Text geschrieben habe – oder den Text zuerst geschrieben habe, und dann die Melodie daran angepasst habe. Bei Achim war es oft so, dass eine Idee für eine Melodie da war und sich der Text dem untergeordnet hat.
Was glauben Sie macht die Chemie zwischen Ihnen und Annette Humpe aus?
Dass wir uns schätzen, uns mögen, dass wir auch privat gerne Zeit miteinander verbringen. Dass sie ein toller Charakter ist. Sie ist ganz klar, ganz direkt, ganz gerade aus – und wahnsinnig klar im Kopf. Es gibt bei ihr keine toten Momente.
Würden Sie sich selbst auch so sehen?
Ich bin eine Schnarchbürste! Mich muss man zum Jagen tragen. (lacht)
Was glauben Sie, haben Sie im Prozess von Rosenstolz gelernt?
Alles. Nichts von dem wäre fertig geworden und entstanden, wenn ich nicht mit ihnen zusammengekommen wäre. Es ist unglaublich beglückend, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Natürlich denke ich mir auch alleine Sachen aus – aber ich bin immer noch einem bestimmten Reimschema verfallen. Durch den Popcharakter, besser gesagt durch die Popmusik, ist man gezwungen, ganz anderes zu reimen, ganz anders Tempo aufzunehmen. So viel, was man da lernt, ohne wirklich dabei zu merken, dass man gerade etwas lernt – das ist es eigentlich: sich darauf einzulassen. Ich habe mich komplett darauf eingelassen und gedacht “Mal gucken”. Es gab auch drei Stücke, die wir über Bord geworfen haben, die wir nicht gut fanden und lange gebraucht haben, um zu merken, dass wir sie nicht gut fanden. Stücke, die wir immer wieder umgebaut haben und dann plötzlich gefiel uns die ganze Geschichte nicht. Der Witz bei der ganzen Geschichte ist ja: Es ist Popmusik, aber ich darf nicht versuchen, Popmusik zu machen. Sondern die Popmusik muss so gebogen werden, dass sie zu mir passt. Ich darf nicht auf einmal so sein, als ob ich plötzlich auf einen Zug aufspringe. Das hätte bei ein, zwei Stücken passieren können. Da habe ich das gemerkt: Ich darf mich nicht für die Popmusik verbiegen, ich muss sie so verbiegen, dass sie zu mir passt. Nur dann ist es interessant.
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