Filed Under: MTBs, Tests
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Test: Olympia 2020 sollte die große Bühne für das Specialized Epic 2021 werden. Der Geländeracer konnte bereits unzählige Titel im XC- und Marathonbereich einfahren und auch in Tokio wären die Specialized Athleten um Annika Langvad und Sam Gaze um die vorderen Plätze mitgefahren. Dann kam Corona und alles war anders – so muss sich das Epic im Moment noch mit den Fachmedien zufrieden geben. Nach unserer kurzen Vorstellung konnten wir uns jetzt auch einen ersten Fahreindruck bilden. Statt der S-Works Variante, die in Tokio zum Einsatz gekommen wäre, haben wir das Epic Expert getestet, welches eher für den „Otto-Normal-Racer“ erreichbar ist.
Für unseren Test mit dem Epic haben wir von Specialized das Expert Modell in der Farbe „Gloss Red Tint / White Gold Ghost Pearl“. Auf den ersten Blick bei wenig Licht wirkte das Bike zunächst schwarz und fast schon enttäuschend unspektakulär. Erst bei gutem Lichteinfall entpuppt sich jedoch die ganze Lackierkunst. Das Bike erstrahlt in einem tiefen „Bordeaux-Rot“. Der Lack wirkt dreidimensional und man blickt bis auf Carbonfasern. Die Schriftzüge sind weiß, aber der Schriftzug am Unterrohr schimmert bei Lichteinfall metallic Gold.
Doch die Optik macht noch lange kein schnelles Rad. Das Epic ist seit Jahren Innovationsträger und treibt die Entwicklungen im XC- und Marathonbereich immer weiter voran. Am Grunddesign wurde zu den Vorgängermodellen wenig verändert, doch Materialien wurden optimiert, um Gewicht und Steifigkeit zu optimieren. Der Rahmen besteht aus leichtem Fact 11m Carbon, das beim S-Works Rahmen des Vorgängers zum Einsatz kam.
Einige schöne und praktische Features sind auch integriert: Da wäre der von anderen aktuellen Specialized MTBs bekannte und sehr effektive Kettenstrebenschutz oder auch das am im Flaschenhalter integrierte Multitool. Dass der Rahmen Platz für zwei große Trinkflaschen bietet, ist angesichts des Einsatzbereichs nicht allzu überraschend.
2002 wurde das erste Epic mit der Brain-Technologie vorgestellt. Diese sorgt mit einem Trägheitsventil dafür, dass bei Impulsen von oben das Fahrwerk verriegelt bleibt, aber bei Schlägen von unten der komplette Federweg freigegeben wird. Die Brain-Technologie am Hinterbau wird für ein besseres Ansprechverhalten beim neuen Epic hinter der Hinterachse schön integriert platziert und speist den speziell entwickelten RockShox Dämpfer mit den nötigen Informationen zum Untergrund.
Das Trägheitsventil wurde für das neue Epic weiter optimiert und soll nun deutlich haltbarer sein und ein feineres Ansprechverhalten haben. Neu ist ebenfalls die Verlegung der Leitung. Diese läuft jetzt durch den Alu-Umlenkhebel direkt in das innere des Dämpfers. Der Hinterbau kann in 5 Stufen von sehr straff bis fast offen je nach Bedarf eingestellt werden. Zum Gesamtkonzept gehört auch die RockShox Sid Gabel ebenfalls mit Brain-Technologie. So können Gabel und Dämpfer im Einklang arbeiten.
Ein umfangreiches Update hat die Geometrie des Epics erfahren. Nicht etwa, weil man beim Vorgängerrad keinen guten Job gemacht hätte, sondern aufgrund der wachsenden bzw. wechselnden Anforderungen. Die Rennstrecken im XC und Marathon-Sektor werden technisch immer anspruchsvoller und es braucht Bikes, die in diesem Gelände einen ebenso kühlen Kopf bewahren wie deren Fahrer.
Der Lenkwinkel wurde auf 67,5 Grad abgeflacht und das Tretlager um 9 Millimeter abgesenkt. Der Sitzwinkel bleibt mit 75,5° angenehm steil für gutes Pedalieren am Berg. Zudem wächst er Reach, was wiederum in der Gesamtlänge durch einen kürzeren Vorbau ausgeglichen wird. Blickt man von oben auf das Rad erkennt man dies direkt am sehr langen Oberrohr. Damit das Rad nicht zu träge wird, bleiben die Kettenstreben mit 433 mm sehr kurz . Das Epic ist in Größen von XS bis XL verfügbar und so sollten die meisten Fahrer die richtige Größe finden.
Die Epic Expert Variante bedient sich fast komplett aus dem Sram-Regal. Die 1×12 Eagle Schaltung setzt sich aus XO1 Shiftern und Schaltwerk sowie GX Kette, Kassette und Kette zusammen. An der Front wird ein Kettenblatt mit 32 Zähnen und Heck eine Kassette 10-50 Zähnen verbaut. Der Eagle Antrieb bietet so 500% Übersetzungsbandbreite. Die Bremsen kommen mit den Level TL ebenfalls von Sram und sorgen mit 2 Kolben und 180 mm Bremsscheiben vorne bzw. 160 mm hinten für die nötige Bremskraft.
Die Laufräder setzen sich aus DT Swiss 350 Naben, DT Swiss Competition Race und Roval Roval Control Carbon Felgen mit 25 mm Innenweite zusamen, welche auch die 2,3″ breiten Specialized Fast Trak Reifen ohne Probleme aufnehmen können. Hauseigene Roval Control Carbonfelgen mit 25mm Innenweite sind mit DT Swiss 350 Naben verbunden. In den schön breiten Felgen kommen die 2,3 Zoll breiten und eher zurückhaltend profilierten Specialized Fast Trak Reifen gut zur Entfaltung. Serienmäßig kommt das Epic mit Schläuchen, doch unser Testbike war bereits auf Tubeless umgerüstet, was auf jeden Fall zu empfehlen ist. Die Felgen sind Tubeless-Ready und man benötigt nur noch Ventil und Dichtmilch, um das Bike ohne Schläuche zu nutzen.
Die restlichen Teile kommen von Specialized selbst. Lenker, Vorbau und Sattelstütze sind aus leichtem Alu und haben ein schlichtes Design. Der Body Geometry Power Sport Sattel sorgt für den nötigen Sitzkomfort. Die Sattelnase zeigt nach unten, so bleibt man nicht so leicht daran hängen.
Das Gesamtpaket kommt so auf 10,70 kg in Größe L mit Flaschenhalter und Multitool. Der Preis für 6.499 € ist kein Schnäppchen, vor allem wenn man auf die Komponenten blickt und z.B. einige Sram GX Teile dort entdeckt. Aber mal ehrlich: Funktional werden diese keine Auswirkung haben, auch wenn es in Summe ein paar Gramm Mehrgewicht bedeutet. Ob man jetzt mit einer X01 Kassette wirklich schneller wäre? Außerdem kann man die Parts als Verschleißteile ansehen, die man nach einiger Zeit gegen höherwertige austauschen kann. Hier kommt es eher auf das Gesamtpaket aus Rahmen, Fahrwerk und Laufrädern an, welche eine sehr gute Basis für ein potentes XC-Bike bieten.
Ein neues Epic im Test war schon immer etwas Besonderes. Zusammen mit dem Cannondale Scalpel und dem Scott Spark war es immer der Benchmark dafür, was im XC- und Marathon-Bereich möglich ist.
Kurz die Sattelhöhe und Cockpit eingestellt und Pedale montiert, dann ging es schon zur ersten Sitzprobe. Das Oberrohr ist sehr lang, die sportliche Sitzposition wird jedoch durch den kurzen Vorbau etwas entschärft. An unserem Testbike war der Vorbau positiv montiert, womit auch die Sattelüberhöhunh geringer ausfällt. Oldschool-Racer mögen darüber die Nase rümpfen, doch das Epic fühlt sich so genau richtig an. Spürbar ist auch das abgesenkte Tretlager: Trotz Größe L sitzt man schön „im Rad“ und nimmt gefühlt zwischen den 29″ Laufrädern platz. Das sollte für mehr Sicherheit und Kontrolle sorgen.
Die Einstellung des Fahrwerks erfordert etwas Fingerspitzengefühl und Erfahrung mit der Brain-Logik. Ich war mit meinem ersten Setup jedenfalls nicht zu 100% glücklich und entschied mich dafür, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen: Ab zum örtlichen Specialized Händler Biller Bikes in Deggendorf und siehe da: Nun war alles perfekt und es konnte auf die Trails gehen.
Im Prinzip unterscheidet sich die Abstimmung des Brain Fahrwerks aber gar nicht so sehr von einem herkömmlichen Fahrwerk. Man muss nur wissen, dass man die Rädchen für das Brain an Gabel und Hinterbau komplett auf soft stellt. Danach stellt man wie gewohnt seinen Sag per Ventil und den Rebound über die Zugstufe ein. Die Sensibilität des intelligenten Fahrwerks stellt man darauf je nach Vorlieben oder Streckenbeschaffenheit ein. Wir sind meist auf Touren in einer eher softeren Einstellung gefahren, da das Bike ohnehin sehr antriebsneutral ist und damit die Downhillperfomance nochmal etwas besser wird.
Auf den ersten Metern mit Bike machte sich sofort die Spritzigkeit des Epics bemerkbar. Das geringe Gesamtgewicht, die leichten Laufräder ließen das Bike spielend leicht auf Geschwindigkeit bringen. Sehr hilfreich war hier auch das Brain-System. Bei Antritten im Wiegetritt auf glattem Untergrund war es stets blockiert und es kam Hardtailfeeling auf.
Die Uphillperformance war wie zu erwarten sehr gut. Die Sitzpostion ist ideal für schnelles Bergauffahren und die Fast Trak Reifen rollten trotz 2,3“ Breite sehr gut auf Asphalt und Schotterpisten. Beim Fahren kam uns ein älterer Instagram-Post mit dem Vorgängermodell in den Sinn, der den Charakter des Epic perfekt beschreibt (noch mit dem alten Modell):
Ein Beitrag geteilt von The Feed Zone News (@feedzonenews) am
Wird der Weg nach oben technischer, dürfte das Epic jedoch jedem Gravelbike spielend davonfahren: Die voluminösen 2,3“ Fast Trak Reifen sorgen bei entsprechend angepasstem Luftdruck für guten Grip. Aus der moderat sportlichen Sitzposition lässt sich das Bike gut kontrollieren. Der lange Reach gleicht die kurzen Kettenstreben aus und mit dem steilen Sitzwinkel bleibt das Vorderrad auch in sehr steilen Passagen am Boden. Das Brain macht bei Schlägen von unten schnell auf und man hat dadurch im Uphill jederzeit Grip und das Rad wirkt nicht bockig.
Die Geometrieupdates am Epic sollten jedoch vor allem der Downhillperformance auf schwierigen Strecken zu Gute kommen. Spoilerwarnung: Das hat auf jeden Fall geklappt. Zunächst ist das neue Epic wahnsinnig laufruhig. Das Bike fühlt sich bei schnellen Abfahrten, egal ob Forstweg oder flowiger Trail, extrem sicher an und man traut sich hohe Geschwindigkeit damit zu. Durch die kurzen Kettenstreben kommt man aber auch elegant um enge Kurven. Die Laufruhe zeichnet sich in Zusammenarbeit mit dem potenten Fahrwerk auch in flachen Trails mit Tretpassagen aus. Hier kann man getrost im Sitzen weiterpedalieren, da auch die Bodenfreiheit, trotz abgesenktem Tretlager, immer noch ausreichend vorhanden ist.
Räder dieser Kategorie neigen in ruppigen Passagen oft etwas dazu, unruhig zu werden. Das Gesamtpaket aus Geometrie, Reifen, Fahrwerk und Rahmengestaltung hat es beim Epic geschafft dies zu minimieren. Nach schwierigen Abfahrt blickte man oft ungläubig zurück nach oben und konnte es kaum glauben, was mit einem 100 mm Federweg Bike und ohne Variostütze so alles möglich ist. Das Bike fuhr genau dorthin wo man wollte und es konnte nur schwer aus der Ideallinie geworfen werden. An dieser Stelle auch ein Lob an das Fahrwerk. Einerseits sehr sensibel, aber eben auch progressiv genug, um auch heftigeren Schlägen Herr zu werden.
Bei aller Laufruhe gehören Stürze jedoch zum Biker-Alltag, auch wenn wir beim Test davon verschont geblieben sind. Dennoch viel auf, dass die Schalthebel beim Verdrehen des Lenkers mit dem Oberrohr kollidieren – (Lack-)Schäden vorprogrammiert. Hier wäre ein Steuersatz mit Einschlagbegrenzer schön gewesen.
Ich muss zugeben, dass mich das Brain-System vor einigen Jahren noch nicht so überzeugte. Es war oft sehr bockig und nicht der Situation angepasst. Die neueste Version überzeugt mich da schon mehr. Die Übergänge von geschlossen zu offen sind nur noch in der härtesten Einstellung zu erfühlen. Ansonsten hält sich das System angenehm im Hintergrund und man muss sich beim Fahren keine Gedanken mehr machen, ob man den Lockout-Hebel betätigt oder nicht.
Die Komponenten waren in unserem Praxistest allesamt unauffällig und erledigten den Job nach Plan. Die Schaltung schaltete sehr weich und zuverlässig, auch an matschigen Tagen. Die Übersetzung ist gut gewählt und bietet genügend Bandbreite. Nur fitte Marathonracer werden wahrscheinlich statt dem 32er Blatt noch ein größeres montieren, um auch in schnellen Abfahrten noch ordentlich treten zu können. Die Bremsen waren gut dosierbar und auch die Bremskraft war auf jeden Fall ausreichend.
Joseph Kuchler war in jungen Jahren aktiver XC-Racer und hat zwischenzeitlich in München Medienmanagement studiert. Zurück in seiner niederbayerischen Heimat ist er wieder öfter auf den Trails im bayrischen Wald anzutreffen.
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