Stammzellbiologen haben entdeckt, wie sich mittels transplantierter Stammzellen der Stoffwechsel im Gehirn neu programmieren lässt. Damit könnten sich auch Hirnverletzungen heilen lassen.
Humane induzierte neurale Stammzellen können aus Hautzellen hergestellt und unbegrenzt in der Petrischale gezüchtet werden.
© Frank Edenhofer
INNSBRUCK. Ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Cambridge und Innsbruck hat wichtige neue Einblicke in zelluläre Signalprozesse gewonnen, die Stammzelltherapien verbessern könnten. Ihre Forschung, deren jüngste Ergebnisse aktuell im Fachmagazin “Cell Stem Cell” publiziert wurden, zeigt, dass die Transplantation adulter, direkt induzierter neuraler Stammzellen in die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit die Menge des Immunmetaboliten Succinat verringert (https://doi.org/10.1016/j.stem.2018.01.020 ).
“Succinat ist ein Signalmolekül für Makrophagen und Mikroglia, das Entzündungen verstärkt. Wir haben geschafft, durch den Einsatz von Stammzellen den Succinat-Gehalt lokal zu senken – das führt im Tiermodell zur Abmilderung der Entzündung und der damit zusammenhängenden Gehirn- und Rückenmarksschäden”, erklärt Prof. Frank Edenhofer vom Institut für Molekularbiologie der Universität Innsbruck in einer Pressemitteilung. Helfen könnte diese Entdeckung in Zukunft Menschen, bei denen Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert wurde, so die Hoffnung der Wissenschaftler. Bei progressiven Formen der MS wird die chronische Entzündung des ZNS nämlich durch eine weitverbreitete Aktivierung von Makrophagen und Mikroglia aufrechterhalten.
Jüngste Fortschritte in der Stammzellforschung haben hohe Erwartungen geweckt, dass Erkrankungen des ZNS durch die Entwicklung von Stammzelltherapien geheilt bzw. gemildert werden könnten. Frühere Arbeiten der an der aktuellen Publikation beteiligten Wissenschaftler haben nach Angaben der Universität bereits gezeigt, dass die Transplantation von neuralen Stammzellen die Entzündungslast am Ort der Verletzung reduziert, die Anzahl der entzündlichen Makrophagen verringert und die Regeneration des verletzten Zentralen Nervensystems im Tiermodell fördert.
Die aktuelle Arbeit der Wissenschaftler löse nun unter anderem ein zentrales Problem der klinischen Anwendung von fremd-transplantierten neuralen Stammzellen: Die für die Transplantation verwendeten Gehirnstammzellen waren bislang nicht vom Patienten selbst, sondern aus dritter Quelle (allogen) gewonnen worden und sind dadurch in der Regel nicht immun-kompatibel.
Die Wissenschaftler haben nun nachgewiesen, dass humane induzierte neurale Stammzellen mit allogenen neuralen Stammzellen vergleichbar effizient sind, heißt es vonseiten der Universität. Der Vorteil: Die autologe Herstellung und direkte Reprogrammierung von Hautzellen des Patienten in stabil expandierbare Gehirnstammzellen löst keine negative Immunantwort aus. Dieses Verfahren entwickelt hat der Innsbrucker Stammzellforscher Frank Edenhofer.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Cambridge Stem Cell Institute wurde nun zudem ein multidisziplinärer Ansatz entwickelt, der es erlaubt, die Mechanismen chronischer Nervenentzündungen für progressive Formen der MS zu charakterisieren. Dabei seien unter anderem die metabolischen Determinanten der persistenten Aktivierung von Makrophagen und Mikroglia, sowohl in vitro als auch in vivo in Tiermodellen, analysiert worden, wird berichtet.
Die Hauptergebnisse zeigten, dass der Entzündungen fördernde Metabolit Succinat in der Zerebrospinalflüssigkeit signifikant steigt, aber nicht im Blut von Versuchstieren mit chronischer experimenteller MS. Die intrazerebroventrikuläre Transplantation von induzierten neuralen Stammzellen hatte dann sowohl therapeutische als auch entzündungshemmende Wirkungen. Diese korrelierten mit einer auffälligen Verringerung der Anzahl der Makrophagen im ZNS und mit der Menge an Succinat im Liquor.
Auch der exakte zelluläre und molekulare Mechanismus, über den die transplantierten Zellen mit dem entzündeten Gewebe interagieren, wurde nun näher bestimmt. Dabei wurde nach Angaben der Universität Innsbruck einer der Hauptmechanismen nachgewiesen, durch den die Stammzelltherapien die chronische Neuroinflammation reduzieren.
“Die neuralen Stammzellen fungieren hier quasi als Schwamm, der das Succinat aufsaugt”, erklärt dazu Frank Edenhofer. Die Besonderheit der Studie liegt nach seinen Angaben darin, dass zum einen die Wirkung von Stammzellen auf das ZNS an einer konkreten molekularen Wirkung festgemacht werden konnte. Zum anderen wecke die erfolgreiche Verwendung von humanen induzierten Gehirnstammzellen Hoffnung auch für eine klinische Umsetzung der Ergebnisse. (run)
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