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Cannondale Scalpel 2021: Im XC-Sektor ist das Scalpel fest als der Rennbolide des Traditionsherstellers Cannondale verankert – und auch in Zukunft soll das so bleiben. Die nächste Evolutionsstufe wurde von Grund auf neu entwickelt und setzt den Fokus auf maximale Effizienz für den Renneinsatz und einen hohen Spaßfaktor für die Abfahrt. Warum im Lastenheft eines XC-Bikes das Fahrwerk vor dem Gewicht geführt wurde und was die beiden Modellvarianten ausmacht, wollen wir euch beantworten. Vorhang auf für das neue Cannondale Scalpel 2021!
Wie entwickelt man ein modernes XC-Racefully? Mit dieser Frage muss sich Cannondale zum Start der Scalpel 2021-Entwicklung auf die Prioritäten und das Lastenheft gestürzt haben. Neben den traditionellen Zielen – wenig Gewicht und viel Steifigkeit – wollte das Team die XC-Bike-Entwicklung im Allgemeinen vorantreiben. Mehr Grip, mehr Kontrolle und das Fahrwerk sollen auch bergauf aktiv dazu beitragen, das Rad schneller zu machen. Als Antwort auf die Frage priorisiert der Hersteller das Fahrwerk höher als das Gewicht.
Herausgekommen sind, aufbauend auf einem Rahmen, zwei Produkt-Konfigurationen: Das XC-Racebike Scalpel mit 100 mm Federweg an Front und Heck sowie das „aufgebohrte“ Scalpel SE – ein leichtes, effizientes Trailbike mit 120 mm Federweg.
Natürlich soll bei einem Racebike kein schwerer Brocken herauskommen – auch die Gewichtsreduktion stand bei der Entwicklung klar im Fokus. Laut Cannondale-eigenen Messungen schlägt das Scalpel 2021 das Specialized Epic, Trek Supercaliber und Scott Spark RC im Gewichtsvergleich. Neben der FlexStay konnte auch an der „Chainstay Garage“ Gewicht eingespart werden. Dank großer Rohrquerschnitte am Hauptrahmen und der Kettenstrebe in diesem Bereich soll mit weniger Material die gleiche Steifigkeit erzielt worden sein wie am Vorgängermodell. Spannend: Die Chainstay Garage wurde zuerst am ungewöhnlichen DH-Prototyp getestet. Zusätzlich verwendet Cannondale eine komplette Alu-Hardware anstelle von schwereren Stahl-Verbindungselementen.
Trotz Loch im Unterrohr, das außen herum Verstärkungen braucht, Linern im Rahmen, die die Zugverlegung vereinfachen sollen, und gewachsener Rahmengrößen konnte das Gewicht am Cannondale Scalpel-Rahmen mit diesen Maßnahmen um 200 g auf 1.910 g mit Dämpfer und Hardware gesenkt werden.
Werfen wir jetzt den Blick auf den Hinterbau. Vier Parameter wollte das Entwicklungs-Team im Prozess ausbalancieren: hohe Effizienz unter Kettenzug, also gute Anti-Squat-Werte; neutrales Bremsverhalten durch gute Anti-Rise-Werte; wenig Pedalrückschlag und ein spezielles Hebelverhältnis mit feinfühligem Federwegsbeginn, aber guter Endprogression.
Ein kurzer Exkurs: Cannondale hat eine lange Vergangenheit mit (abgestützten) Eingelenk-Hinterbauten. Ob Scalpel-Vorgänger, Trigger oder Jekyll – erst das aktuelle Habit bricht mit dieser Tradition. An letzterem Rad setzt Cannondale auf einen Viergelenk-Hinterbau mit Horst-Link. Genau mit diesem System sollen sich auch am neuen Scalpel die vier Parameter wie gewünscht umsetzen lassen. Ein Drehpunkt in der Kettenstrebe bringt jedoch unerwünschtes Gewicht mit sich. Cannondale setzt aus diesem Grund ein bekanntes Element an XC-Bikes ein, positioniert es aber an anderer Stelle: die flexende Strebe. Optisch wirkt das Cannondale Scalpel 2021 damit weiterhin wie ein Eingelenker, denn Achse und Hauptdrehpunkt liegen auf einer Strebe. Die sogenannte FlexStay-Kettenstrebe ist aber kurz vor dem Ausfallende so stark verjüngt, dass sie wie ein Drehpunkt agiert.
Mit dieser Rohr-Form will der Hersteller den Charakter des Horst-Link imitieren, ohne das Zusatzgewicht sowie den torsionalen und lateralen Flex eines Drehpunkts mitzunehmen. Strukturell soll der Scalpel-Hinterbau so effizient arbeiten wie ein Eingelenker, funktionell jedoch einem Viergelenker gleichen. Damit aber nicht genug: Unter dem „Proportional Response“-Ansatz passt Cannondale zusätzlich die Hinterbau-Kinematik leicht für jede Rahmengröße an, damit sich das neue Scalpel unabhängig von Rahmengröße und Fahrergewicht immer gleich anfühlt.
Konkret: Anti-Squat und Anti-Rise wurden für jede Rahmengröße optimiert. Die kleineren Größen sollen eine etwas linearere, die großen Rahmen eine etwas progressivere Kennlinie bieten. Gleich bleibt dabei die gesamte Hinterbaukonstruktion – lediglich die Montageposition des Dämpfers am Oberrohr wird angepasst. Um auch hinsichtlich der Rahmensteifigkeit zu optimieren, beinhaltet der „Proportional Response“-Ansatz auch leicht angepasste Rohrdurchmesser und Carbon-Layups.
Soweit zur Technik – doch wie wirkt sich das auf dem Trail aus? Der optimierte Anti-Squat und der reduzierte Pedalrückschlag sollen das Scalpel im Uphill schneller machen. Mit dem feinfühligen Hinterbau soll das Rad besser über Unebenheiten rollen, ohne dass Federung und Antrieb zu stark miteinander konkurrieren und die Traktion abreißen zu lassen. Cannondale hat hier viel an der FlexStay experimentiert, um diese so auszulegen, dass sie steif genug ist, um nicht zu flattern, aber nicht so steif, dass sie das Fahrwerk negativ beeinflusst. Laut Fahrwerks-Ingenieur Luis „El Kinematico“ Arraiz braucht es unter 5 lbs Druck auf die Achse, um den Hinterbau zu bewegen.
Resultieren soll das in einem smootheren Fahrverhalten, das dem Fahrer Kraft spart – die eingebrachte Energie soll besser am Boden ankommen und in Vortrieb umgewandelt werden. In Kombination mit einer neutraleren Sitzposition will Cannondale ein intuitives, spaßiges Fahrverhalten geschaffen haben, das sowohl dem kompromisslosen Renneinsatz, als auch dem Trail-Einsatz gerecht werden soll. Cannondale fasst zusammen: „Everything you need and nothing you don’t!“
Am neuen Scalpel gibt es aber noch mehr zu entdecken, als die FlexStay. Am Rahmen finden sich weitere Features, beispielsweise die bereits bemerkte einfache Kabelführung, zwei Trinkflaschenhalter und das Stash-System. Dabei handelt es sich um eine Aussparung im Unterrohr, über der ein Flaschenhalter angebracht werden kann. Wer möglichst wenig Gewicht mitführen will, kann sie mit einer Abdeckung verschließen. Wer maximale Funktionalität schätzt, kann hier ein Fabric Minitool mit 8 Funktionen, Dynaplug-Tubeless-Plugs und eine Pumpe oder CO2-Kartuschen mitführen. Alles ist fest fixiert und für den Schnellzugriff vorbereitet. Überarbeitete Hardware soll das Rad wartungsfreundlich machen, das Cannondale-eigene Achssystem den Reifenwechsel vereinfachen – vorne klappt das dank Lefty ja sogar ohne Demontage des Vorderrads.
Im Vergleich zur letzten Evolutionsstufe ist das Scalpel gewachsen, wenn auch nicht extrem. Spannend ist auch der Vergleich mit langhubigeren Bikes. Cannondale nähert sich mit dem aktuellen XC-Racebike Größenverhältnissen an, die vor 2 bis 3 Jahren an Enduro-Bikes absoluter Standard waren – aber nicht mit kurzen Stummel-Vorbauten, sondern mit langen Modellen. Alle vier Rahmengrößen wachsen im Reach um etwa 10 mm, bei tieferem Stack. Der Lenkwinkel fällt mit 68° ganze 1,5° flacher aus, wird aber weiterhin mit den langen 55 mm Vorlauf der Lefty Ocho gepaart. Dem etwas längeren Hauptrahmen wird mit einem 1° steileren Sitzwinkel Rechnung getragen. Minimal tiefer liegt auch das Tretlager – 40 mm Absenkung in dieser Federwegsklasse sollten für hohe Fahrsicherheit und ausreichend Bodenfreiheit sorgen.
Durch die längere 120 mm-Gabel im Cannondale Scalpel SE verändert sich die Geometrie natürlich ein bisschen. Ein halbes Grad flacher fällt der Sitzwinkel aus, der Stack wächst um 10 mm, der Reach wird etwa 5 mm verkürzt. Durch alle Rahmengrößen hindurch bleibt die Hinterbaulänge mit 436 mm an Scalpel und Scalpel SE gleich. Ins gerade Sitzrohr passen natürlich auch Vario-Sattelstützen – hier sollte ausreichend Platz für die mittleren bis kurzen Hub-Optionen der meisten Hersteller übrig sein.
Geometrie Scalpel SE zum Ausklappen:
Die markante Cannondale Lefty Ocho-Federgabel ist das Herzstück der Ausstattung der Cross-Country-Modelle des Scalpels. Bei allen 100 Millimeter-Modellen außer dem günstigen Modell Carbon 4 verbaut Cannondale die extravagante, hauseigene Federgabel. Die Leichtbauversion der Federgabel, die Lefty Ocho Carbon, erhalten dabei jedoch nur das teuerste Modell Scalpel Hi-MOD 1 und das für Frauen optimierte Modell Carbon Women’s 2. Die Lefty Ocho gibt es bisher lediglich in einer Ausführung für 100 Millimeter Federweg. Dementsprechend werden die Modelle des Scalpel SE auf herkömmlichen Federgabeln ausgeliefert. Konkret sind dies verschiedene Ausführungen der kürzlich vorgestellten Rock Shox SID.
Vom absoluten Topmodell mit Shimano XTR-Austattung und Enve-Carbonlaufrädern (7.999 €) bis hin zu Modellen mit Shimano XT/SLX, beziehungsweise SRAM NX/SX-Austattung bei insgesamt fünf verschiedenen Modellen deckt Cannondale beim 100-Millimeter-Scalpel eine vernünftige Bandbreite an Ausstattungsvarianten ab. Beim „Down-Country“-Modell Scalpel SE bringt Cannondale drei verschiedene Optionen auf den Markt: Während das teuerste SE-Modell mit einem Preis von 4.999 € von Shimanos XT-Gruppe angetrieben wird, sind die beiden günstigeren Modelle mit einem Mix aus SRAMs NX- und SX-Eagle Gruppen bestückt. Alle drei Modelle werden standardmäßig mit einer absenkbaren Sattelstütze ausgeliefert. Bei den Cross-Country-Modellen mit 100 Millimeter Federweg ist dies bei keiner Ausstattungsvariante der Fall.
Ausstattung Scalpel SE und alle Farb-/Ausstattungsvarianten zum Ausklappen
Wir konnten bereits vorab einen ersten Eindruck des neuen Cannondale Scalpel SE gewinnen. Ist man herkömmliche Race-Fullies gewohnt, stellt sich auf dem Scalpel SE dank des flachen Lenkwinkels von 67° beinahe ein Enduro-Feeling ein. Auch auf dem Trail begleitet einen dieses Gefühl: Das neue Rad ist spürbar getrieben von der modernisierten Geometrie und verleitet dazu, die Bremsen offenzulassen und dem Rad Freiraum zu gewähren. Mühelos und mit einer enormen Spurtreue rollt das Scalpel SE über viele Hindernisse hinweg. Auf engen und verwinkelten Strecken machte das Down Country-Bike bei den ersten Testfahrten einen einwandfreien Eindruck und ließ sich auch dank der absenkbaren Sattelstütze einfach um Engstellen und Spitzkehren manövrieren. Geht es in grobes Gelände, vergisst man schnell mal, dass man nicht auf einem Rad mit mehr Federweg sitzt und nur 120 mm unter sich hat. Wird es dann auch noch schnell, sollte man jedoch entweder sehr genau wissen, was man tut, oder sich etwas zügeln. Im Rahmen des ersten Tests blieb hier aber wenig Zeit, um das Optimum aus dem Rad zu holen.
Paradedisziplin des Bikes ist der Uphill. In ansteigendem Gelände zeigt sich das wahre Potenzial des neu entwickelten Hinterbaus und der klare Fokus in der Entwicklung des Bikes bestätigt sich: Der Viergelenker-Hinterbau generiert beinahe ideale Traktion in verschiedensten Situationen und arbeitet zudem sehr effizient im Antritt. Die verhältnismäßig tiefe Front sorgt dafür, dass das Vorderrad auch in steilsten Passagen nicht vom Boden abhebt. So macht das Scalpel SE vor allem im Gelände sehr viel Spaß beim Klettern.
Wie so häufig bei Bikes, die zwischen zwei Kategorien stehen, ist die Wahl der Reifen ein Kompromiss. Minimaler Rollwiderstand oder maximaler Grip? Wer gerne sportlich unterwegs ist, aber nicht nach Bestzeiten jagt, ist mit den Maxxis Ardent Race-/Rekon Race-Reifen gut aufgehoben. Rennaffine Nutzer, die die Reserven des 120 mm-Bikes mitnehmen wollen, können mit schnelleren Reifen eine Brücke zum XC-Race-Scalpel schlagen. Auch ein Lenker-Lockout für Dämpfer und Federgabel könnte sich an einem Hybriden zwischen Scalpel und Scalpel SE anbieten.
Sehr gut gefallen hat uns die Umsetzung des Stash-Fachs am Unterrohr des Rades. Die Möglichkeit, Minitool, CO2-Kartusche und Dynaplugs leicht zugänglich am Rad zu montieren, ist ein echter Zugewinn an Komfort. Sowohl im Rennmodus, wenn wichtige Sekunden gespart werden können, als auch im Tourenalltag ist diese Lösung schnell und komfortabel.
Wer mit zwei großen Trinkflaschen am Rad unterwegs sein will, sollte einen Flaschenhalter, der die seitliche Entnahme der Flasche ermöglicht, montieren. So wird das Entnehmen der Flasche während der Fahrt wesentlich vereinfacht.
Aus technischer Sicht ist das neue Cannondale Scalpel 2021 ein sehr spannendes Rad. Mit durchdachtem und eigenständigem Hinterbau-Konzept, Race-orientierten Features, die im Fall von Defekten oder notwendigen Service-Tätigkeiten helfen sollen, und einem leichten Rahmen hat der Hersteller ein vielversprechendes neues Produkt im Portfolio.
Auf dem Trail macht sich die Zusammenarbeit mit dem Cannondale Factory Team um Manuel Fumic und Co. bei der Entwicklung bemerkbar: Das Scalpel bleibt ein Rad für Rennstrecken. Die Down-Country-Lösung Scalpel SE mit 120 Millimeter Federweg glänzt im ersten Eindruck durch Effizienz im Gelände bergauf und überzeugt bergab mit Vielseitigkeit in unterschiedlichem Terrain.
Wie gefallen euch die beiden neuen Scalpel-Modelle und was sagt ihr zur FlexStay?
CD Jekyll
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