Filed Under: MTBs, Tests
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Test: Deutsche Custom-Schmiede vs. Taiwanesische „Massenware“, Alu vs. Carbon oder konventionelles Racefully vs. Rennfeile mit Trailbike-Genen. Das Duell der beiden Edel-Racer lässt sich in vielen Bereichen durchspielen. Sowohl das Nicolai Saturn 11 als auch das Giant Anthem Advanced konnten in unseren Einzeltests bereits überzeugen. Da beide sich beide jedoch auf ihre ganz eigene Art und Weise auszeichneten, haben wir sie in einen Edel-Shootout geschickt. Wer ist schneller? Welches Konzept geht auf?
Giant Anthem Advanced
Federweg in mm (vorne/hinten): 100/90
Laufradgröße: 29″
Preis: 7.599€
www.giant-bicycles.com
Nicolai Saturn 11
Federweg mm (vorne/hinten): 120/105
Laufradgröße: 29″
Preis: 6.499€
www.nicolai-bicycles.com
Für dieses Duell haben wir uns Verstärkung geholt. Michael Stieglbauer und Maximilian Hoffmann vom Stieglbauer Racingteam sind über den Sommer fast jedes Wochenende auf nationalen und internationalen XC und Marathon Kursen unterwegs. Bei Michael ging es in seiner über 25 Jahre andauernden Mountainbikekarriere schon das ein oder andere Mal in den XC Worldcup. Beide sind nicht nur schnell unterwegs mit dem Bike, sondern standen uns auch mit dem Know-How aus ihrer alltäglichen Arbeit im lokalen Bikeshop zur Seite. Maxi arbeitet dort als Zweiradmechaniker-Meister und Michael unterstützt den Verkauf und in der Werkstatt. Das Team der beiden wird von Scott gesponsert, deshalb brachten sie auch ihr Teambike Scott Spark RC als Referenz mit, welches aktuell im Racefully Bereich sicherlich nicht die schlechteste Wahl ist.
Als Testgebiet haben wir den Bikepark Bischofsmais ausgewählt. Die Teststrecke für unser XC-/Marathon-Duell setzt sich aus dem neuen E-Flow Uphill, dem Flowcountry Downhill und dem unteren Teil der Freeridestrecke zusammen. Zwischen Flowcountry und Freeride haben wir noch einen steilen Wiesenanstieg über die Winterrodelbahn eingebaut. Die Strecke verlangt den Bikes unterschiedliche Qualitäten ab: Zum einen gibt es schnelle Up- und Downhillpassagen, aber auch technisch schwierige Auf- und Abfahrten.
Beide Bikes wirken auf komplett unterschiedliche Weise edel und machen optisch einiges her. Das Nicolai besticht mit rohem Aluminium und durch den bekannten “Schweissporno”. Das Giant hingegen eher edel schwarz matt mit fein verarbeitetem Carbon. Das Nicolai wirkt durch die Tune-Parts eher wie ein Custom-Aufbau, wobei das Giant mit den hauseigenen Parts farblich perfekt durchgestylt ist und nicht weniger hochwertig wirkt. Bei der Optik möchten wir kein Urteil fällen. Beide Bikes sind auf ihre Art und Weise wirkliche Hingucker.
Bei der Ausstattung ähneln sich die beiden Rennfeilen auf den ersten Blick stark. SRAM Eagle und Fox Kashima Fahrwerk stechen sofort heraus. Preislich liegen aber dennoch schlappe 1100 € dazwischen. Das Nicolai kann man ’schon‘ für 6.499€ sein eigen nennen, beim Giant werden 7.599 € fällig. Dafür bekommt man beim Giant die SRAM Eagle in der XX1 Top-Ausführung – beim Nicolai ist die etwas schwerere X01 Version verbaut. Auf gleichfalls hohem Niveau bewegen sich die Laufräder, wobei sich auch hier die grundsätzlichen Unterschiede fortsetzen; Giant spendiert seinem XC-Fully Laufräder mit Carbonfelgen, bei Nicolai gibt’s Alu-Kunst aus dem Hause Tune – beim Gewicht geben sich die beiden Konkurrenten hier fast nichts.
Auch beim Fox Fahrwerk gibt es Unterschiede, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht erkennt. Das Giant hat mit der Fox 32 Float Step Cast Factory mit 100 m und dem Fox Float Factory DPS Dämpfer samt Remotesteuerung ein eher sportlich-straffes Fahrwerk. Das Nicolai bietet 120mm etwas mehr Federweg, dafür muss man auf das leichte Stepcast Casting verzichten.
Interessant wird es dann schließlich beim Gewicht: Kann hier ein moderner Alu-Rahmen noch mit den Modellen aus Kohlefaser mithalten? Klar, das Giant (10,3 kg) ist leichter, aber das Nicolai (10,9 kg) liegt nur 600 Gramm entfernt, obwohl die Reifen wie beim Anthem bereits ab Werk auf Tubeless umgerüstet waren. Da gehen nochmal ca. 300 g weg. Dann bewegen sich beide Bikes schon fast auf gleichem Niveau. Klar muss man mit den sehr leichten Tune Parts womöglich Zugeständnisse in puncto Steifigkeit und Haltbarkeit machen, aber für ein Bike mit Alu-Rahmen ein sehr sehr gutes Gewicht.
Vergleicht man also die Ausstattung, lassen sich hier keine wirklichen Vor- oder Nachteile ausmachen. Deswegen gibt es hier ein faires Unentschieden.
Obwohl beide Bikes in sich sehr verschieden sind, fühlten sich die Tester auf den Rädern schon beim ersten Probesitzen sehr wohl. Das Giant fällt durch das lange Oberrohr (630 mm) in Verbindung mit dem langen Vorbau eher gestreckt aus. Die Sitzposition wird durch den verbauten Riser jedoch etwas entschärft. Eben beim Lenker spalteten sich die Meinungen. Einerseits wurde bemängelt, dass an ein Racebike kein Riser gehört, da die Front dadurch gefühlt etwas zu hoch wird. Andererseits wurde der Riser positiv aufgenommen, da er die Sitzposition auf dem Giant entspannter macht, was gerade bei langen Tagen im Sattel nicht zu unterschätzen ist. Der Rest vom Cockpit kam durchwegs gut an. Vor allem der Lockout Remote-Hebel für Gabel und Dämpfer wurde durchwegs als positiv empfunden.
Nicolai überträgt sein Geolution Geometrie Konzept auch auf das Saturn 11. Dadurch fällt das Oberrohr (645 mm) des Bikes extrem lang aus. Damit die Sitzposition nicht zu gestreckt wird, kommt der Sattel etwas weiter nach vorne und es wird für ein XC-/Marathon-Bike ein sehr kurzer Vorbau (50 mm) verbaut. Das ganze zusammen ergibt dann doch eine sehr ausgewogene Sitzposition. Das Cockpit kam beim Nicolai auch gut an. Die ESI Chunky Silikon Griffe sind immer beliebt bei Racern und die Tune Turnstange Flatbar war hier in 750 mm Breite genau richtig.
Auch bei der Ergonomie sind beide stark. Wer hier der Gewinner ist hängt von einzelnen Vorlieben ab.
Wir haben beide Bikes über die E-Uphillflow Strecke am Geißkopf, die eigentlich für E-MTBs gedacht ist, geprügelt. Mit schnellen, steilen Passagen und teils technisch äußerst anspruchsvollen Uphill-Parts ist die Strecke auch für unsere Testbikes eine sehr gute Referenz.
Wie sich ein Rad im Uphill schlägt, hängt neben Gewicht und Fahrwerk natürlich zu großen Teilen auch von der Geometrie ab. Beim Blick auf das Datenblatt erkennen wir bei den Bikes große Unterschiede. Das Giant fällt mit 69 Grad Lenkwinkel und 73,5 Grad Sitzwinkel für ein Racefully noch recht konventionell aus. Nicolai geht einen anderen Weg. Der Lenkwinkel liegt hier bei flachen 67,6 Grad, der durch einen steilen 75,5 Grad Sitzwinkel kompensiert wird und den Fahrer zentral auf das Rad rückt. Kurz zusammengefasst: Das Nicolai ist beim Lenkwinkel über ein Grad flacher als das Giant, wobei der Sitzwinkel beim Nicolai genau 1 Grad steiler ist. Das wird spannend im Uphill Duell.
So unterschiedliche die Konzepte unserer beiden Kontrahenten auch sein mag – der Blick auf die Zeiten zeigt: Die Unterschiede in der Gesamtzeit sind minimal. Michael war mit dem Nicolai schneller, Maxi mit dem Giant. Was fiel dabei auf? Beide Bikes sind überragende Kletterer, aber beide haben in verschiedenen Streckenanschnitten ihre Stärken und Schwächen. Genau deshalb liegen sie bei der Gesamtzeit am Ende wieder fast gleichauf.
Das Giant war ganz klar das spritzigere Bike. Es flog beim Beschleunigen quasi aus den Anliegerkurven und man konnte gut den Speed mitnehmen. In technischen und steilen Abschnitten war dann jedoch das Nicolai der klare Sieger. Mit seinem steilen Sitzwinkel, den langen Kettenstreben (446 mm) und der tiefen Front sind die Fahrer in derartigem Gelände in einer perfekten Sitzposition, um volle Power aufs Pedal zu bringen. Beim Giant musste man hier durch die hohe Front schon etwas mehr arbeiten und die Sitzposition anpassen.
Beide Hinterbauten arbeiteten sehr gut und Wippen war quasi ein Fremdwort. Da sich beide Bikes schon auf einem hohen Niveau bei der Uphill-Performance bewegen, kommt es hier auch stark auf den Fahrer und seine Vorlieben an. Deshalb ist es auch hier erneut schwierig einen klaren Sieger zu ermitteln.
Zeiten Uphill
Die Downhillqualitäten der beiden Konkurrenten haben wir auf dem Flow Country Trail und der Freeride-Strecke im Bikepark am Geisskopf getestet. Das Ergebnis? Auch hier verhält es sich wie schon zuvor: Große Unterschiede und dennoch Gleichstand. Je nach Fahrer war wieder das Nicolai oder eben das Giant das schnellere Rad. Auf dem Papier müsste das Nicolai eigentlich klar die Nase vorn haben. Flacher Lenkwinkel und 120 mm statt 100 mm Federweg und ein tiefer Schwerpunkt sprechen für das Alu-Bike. Im Test haben wir auch festgestellt, dass es durchaus seine Zeit benötigt, um sich auf die – für ein Racebike ungewöhnliche – Geometrie des Nicolais einzustellen. Das Bike wirkt zuweilen etwas träge, wenn es jedoch schnell wird, glänzt es mit viel Laufruhe. Kein Wunder: Der Radstand des Nicolais ist fast 7 cm länger als der des Giants und das macht sich natürlich bemerkbar, positiv wie negativ.
Der Hinterbau am Nicolai stellt 105mm Federweg zu Verfügung, machte mit viel Schluckfreude eine Menge Spaß und entschärfte die eine oder andere brenzlige Situation. Das Giant vermittelt dagegen ein fast schon grundsätzlich anderes Fahrgefühl. Die 90mm Federweg im Heck sind hier eher straff-sportlich, wie man es von einem Rad dieser Klasse gemeinhin eigentlich auch gewohnt ist. Die Performance ist auch hier hervorragend und auch das Giant vermag ruppige Trails zuverlässig zu entschärfen. Ganz so komfortabel wie der Nicolai ist er aber nicht. Beim Giant fiel auf, dass es bei schnellen Kurven und Richtungswechseln etwas zum Übersteuern neigte. Wir glauben, dass hier die Balance zwischen langem Oberrohr und kurzem Hinterbau nicht ganz gestimmt hat. Dies war beim Nicolai deutlich besser ausbalanciert. Trotzdem konnte das Giant auch in schnellen Passagen gut mithalten.
Auch hier zeigte sich wieder: Es kommt einfach auf den Fahrer, auf die Vorlieben und den Fahrstil an. Max fühlte sich auf dem Giant deutlich wohler, während Michael mehr Spaß mit dem Nicolai hatte. Genau das zeigt sich auch in den Rundenzeiten.
Zeiten Downhill
Rundenzeiten gesamt
Welches Bikes ist nun das schnellere? Diese Frage konnte unser Test leider auch nicht ganz beantworten. Dafür zeigte sich, welches Bike für welchen Fahrertyp das geeignetere ist. Suche ich eine reine, optisch durchgestylte XC-Waffe auf dem modernsten Stand der Technik? Dann nimm das Giant. Leicht, steif, wendig und mit gutem Vortrieb. Möchte ich neben meinen Wettkämpfen auch Spaß auf langen Touren oder auch bei einem Alpencross haben? Dann nimm das Nicolai. Leicht, aber robust mit Reserven. Es ist auch eine Typ-Sache: Möchte ich ein Bike von der Stange oder doch etwas Individualität? Im Endeffekt ist eine Entscheidung die jeder für sich treffen muss, denn beide Bikes sind absolute Raketen.
Joseph Kuchler war in jungen Jahren aktiver XC-Racer und hat zwischenzeitlich in München Medienmanagement studiert. Zurück in seiner niederbayerischen Heimat ist er wieder öfter auf den Trails im bayrischen Wald anzutreffen.
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