Foto: Nature Picture Library/Imago Images
Zwei Jahre lang wurden Gutachten vorgelegt und bewertet. Seit dem 17. August ist es damit vorerst vorbei. An diesem Tag hat US-Innenminister David Bernhardt ein sogenanntes Entscheidungsprotokoll unterzeichnet, mit dem festgehalten wird: Nach Auffassung der zuständigen Behörde ist es gesetzeskonform, die Küstenebene des Arctic National Wildlife Refuge in Alaska für Öl- und Gasbohrungen zu öffnen. Dem Verkauf von Schürfrechten in der naturbelassenen Region steht nun nichts mehr im Wege, auch wenn dagegen inzwischen vier Klagen eingereicht worden sind. Sie richten sich gegen den Innenminister, das Innenministerium und die ihm unterstellte Behörde Bureau of Land Management, die öffentliches Land verwaltet, und den für Naturschutzgebiete zuständigen Fish and Wildlife Service. Zu den Klägern zählen indigene Gwich’in-Gemeinden auf US- und kanadischer Seite. Diverse Umwelt- und Naturschutzverbände sowie 15 demokratisch regierte US-Staaten kommen hinzu. Damit ist der nächste Akt in einem Jahrzehnte schwelenden Konflikt (der Freitag 52/2019) eingeläutet.
Das Arctic Refuge, das größte Naturschutzgebiet der USA, ist für den Öl- und Gasabbau tabu, seit es 1980 mit in das National Wildlife Refuge System aufgenommen wurde. Die naturbelassene Küstenebene, etwa so groß wie der Bayerische Wald, stand unter besonderem Schutz. Ein Moratorium verhinderte bisher die Öffnung für Öl- und Gasunternehmen, doch gibt es um die „Area 1002“ seit Jahrzehnten Streit. Während republikanische Präsidenten stets versuchten, das Moratorium aufzuheben, versuchten die Demokraten, den Schutzstatus auch auf die Küstenregion auszudehnen.
Immerhin gilt das Gebiet vielen in den USA als „nationales Erbe“ und genießt einen Bekanntheitsgrad wie der Yosemite-Nationalpark. Die Küstenebene, etwa acht Prozent der Gesamtfläche des Arctic National Wildlife Refuge, ist mit ihrer einzigartigen Vegetation wie auch vom Klima her Lebensraum für gefährdete Tiergruppen. Man findet über 200 Zugvogelarten, Eisbären, Polarfüchse, seltene Fischarten und die größte Karibuherde Amerikas. Was sich jetzt anbahnt, kann – unter bestimmten Auflagen – zum Verkauf von Schürfrechten in der gesamten Küstenebene führen.
Die Kläger monieren, wenn es dazu käme, würden diverse Gesetze verletzt, die dem nationalen Umwelt- und Artenschutz dienen. Zudem gäbe es einen Verstoß gegen den Alaska National Interest Lands Conservation Act, der seit 1980 speziell mit den dort lebenden Indigenen ausgehandelt wurde. Auch würden die mit Ölförderung verbundenen Kohlendioxidemissionen und der Klimawandel nicht genügend berücksichtigt. Besonders die indigene Stammesgruppe der Gwich’in bemängelt unzureichende Konsultationen mit den betroffenen Communitys. Die klagenden Bundesstaaten wiederum machen geltend, dass sich durch weitere Öl- und Gasprojekte der Klimanotstand verschlimmern werde. Überschwemmte Küstenzonen, übersäuerte Ozeane und andere Naturschäden müssten vorrangig die Bundesstaaten schultern.
Insgesamt dauerte das Prüfungsverfahren mit etwas über zwei Jahren nur halb so lange wie üblich. Außerdem kommen Unregelmäßigkeiten ans Licht. Behördenmitarbeiter berichten von Einschüchterungsversuchen. Wissenschaftliche Befunde in Verbindung mit dem Prüfungsgutachten seien unterschlagen oder verfälscht worden. So habe der verantwortliche Berater für Alaska im US-Innenministerium gedroht, Mitarbeiter, die Zweifel am Öl- und Gasaufkommen im betreffenden Gebiet äußerten, als „obstructionist“ (Widerständler) zu labeln. Aussagen zu Gefahren, etwa für eine vom Aussterben bedrohten Eisbärenart, wurden gar ins Gegenteil verkehrt.
Wegen der Nähe zur kanadischen Grenze und gefährdeter Wildtierarten – besonders der Porcupine-Karibuherde, deren Migrationsroute beidseits der Grenze verläuft – hat sich auch die kanadische Regierung geäußert. Sie fordert in einem Schreiben an die zuständige US-Behörde transparenten Datenaustausch. Schon vor zwei Jahren gab sie ihr Votum gegen die Öl- und Gasförderung in diesem Gebiet ab.
Die über 200.000 Tiere zählende Porcupine-Karibuherde – die letzte große Herde Nordamerikas – nutzt die Küstenebene im Frühjahr als Rückzugsgebiet. Dann bringen – nach einer 1.500 Kilometer langen Wanderung – die weiblichen Tiere durch eine Art von synchroner Geburt in wenigen Wochen 40.000 Kälber zur Welt und über erste Lebenswochen. Die Ebene bietet eine besonders nährstoffhaltige Vegetation und schützt vor natürlichen Feinden sowie Moskitoschwärmen, die für geschwächte Tiere lebensbedrohlich werden können.
Traditionell betreten die Gwich’in dieses Gebiet nicht, auch wenn die Jagd weiterhin fester Bestandteil ihrer Kultur ist und Fleisch bis zu 80 Prozent ihrer Ernährung ausmacht. Es gibt eine tiefe spirituelle Verbundenheit mit der Herde, weshalb dieser Rückzugsort „Iizhik Gwats‘an Gwandaii Goodlit“ genannt wird, übersetzt: heiliger Ort, an dem das Leben beginnt. Wissenschaftler prognostizieren im Fall einer Industrialisierung der Ebene einen deutlichen Geburtenrückgang. Eine kanadische Studie von 2019 kommt zu dem Ergebnis: „Wenn das Leasing in der Küstenebene des Refuge voranschreitet, wird sich die Herde, die das Gebiet nutzt, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit stark reduzieren – genug, um die traditionelle Jagd stark einzuschränken.“ Bernadette Demientieff, Geschäftsführerin des Gwich‘in Steering Committee, nennt den Beschluss des US-Innenministeriums einen Angriff auf Rechte, Kultur und Lebensweise ihres Volkes. „Die ebenso monströse wie kurzsichtige Entscheidung der Trump-Administration, die Area für Öl- und Gasbohrungen zu öffnen, verstößt gegen die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker, die von den USA unter Barack Obama unterzeichnet wurde“, so Aram Mattioli, Historiker an der Universität Zürich, der intensiv zu den indigenen Völkern Nordamerikas forscht und publiziert. „Der Artikel 29 postuliert, dass diese ein Recht auf den Erhalt und den Schutz der Umwelt besitzen. Leider führt sich die Trump-Regierung in dieser Hinsicht wie ein Kolonialregime auf.“
Die Vorsitzende des UN-Ausschusses gegen Rassendiskriminierung (CERD) hat sich in einem Schreiben an den Ständigen Vertreter der USA in Genf gewandt. Man habe Informationen erhalten, dass die geplante Öl- und Gasförderung in jener Küstenebene „ohne die freie, vorherige und auf Kenntnis der Sachlage gegründete Zustimmung der indigenen Gwich’in und ohne angemessene Rücksprache mit ihnen durchgeführt werde, trotz des schweren Schadens, den solche Fördertätigkeiten mutmaßlich verursachen könnten“. Ein solcher „Call for Investigation“ gilt als ungewöhnlicher Schritt, der nur bei einem klaren Verdacht auf verletzte Menschenrechte üblich ist.
Die US-Behörden haben die Schürfrechte an Auflagen gebunden, wie die Einhaltung von Zugkorridoren der Karibu-Population und Baubeschränkungen während des Monats, in dem die Muttertiere Kälber zur Welt bringen. Ungeachtet dessen sieht Innenminister Bernhardt in dem Projekt das „größte Onshore-Vorhaben Nordamerikas“. Er hoffe auf Tausende von Arbeitsplätzen und Einnahmen von mehreren zehn Milliarden Dollar. Man werde die nationale Sicherheit durch einen Gewinn an Energieunabhängigkeit stärken. Lisa Murkowski, republikanische Senatorin aus Alaska, erklärt, Öl- und Gasabbau in der Küstenebene helfe, „eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage für Alaska zu schaffen“. In Alaska profitiert jeder Einwohner durch eine jährlich ausgezahlte Dividende direkt von Einnahmen aus der Rohstoffindustrie.
Die Trump-Regierung hatte die Öffnung der Küstenebene im Dezember 2017 in eine groß angelegte Steuerreform eingefügt; mit den Einnahmen sollten Steuerausfälle kompensiert werden. Allerdings liegen unabhängige Berechnungen inzwischen weit unter der anvisierten Summe. Eine Analyse der New York Times kommt statt der erhofften 1,8 Milliarden Einnahmen auf nur 45 Millionen Dollar. Überdies gibt es bisher keinen Aufschluss darüber, wie groß die Öl- und Gasvorkommen tatsächlich sind. Um sich darüber Auskunft zu verschaffen, sind seismische Tests geplant, die jedoch wegen ihrer Folgen für das fragile arktische Ökosystem selbst unter Kritik stehen. Auf öffentlichen Druck hin haben sich mehrere Großbanken inzwischen aus der Finanzierung von Ölbohrprojekten in der Arktis zurückgezogen. Joe Biden gab zu verstehen, sollte er die Präsidentenwahl gewinnen, gelte für das Gebiet wieder ein besonderer Schutz. Sollten dann schon Schürfrechte vergeben sein, wäre eine Umkehr schwierig und langwierig.
Petra Krumme arbeitet als freie Lektorin und kennt die arktische Gwich’in-Community Old Crow in Kanada durch ihre Recherchen dort
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