Wenn auf Podien und in Fachkreisen über Gleichspannungsnetze (DC) in der Industrie diskutiert wird, dann muss Jochen Clemens von Danfoss immer ein bisschen schmunzeln. „Die Schiffbauer sind der Industrie schon ein paar Schritte voraus. Im Marine-Bereich sind DC-Netze weit verbreitet“, erklärt der Ingenieur. Partiell kommen DC-Netze aber auch schon heute zum Einsatz in der Produktion: „Es gibt bereits Roboter- und Servoanwendungen, die mit DC-Spannung versorgt werden“, so Clemens.
„Bei den sogenannten „Common DC-Netzen“ nutzen alle Geräte ein gemeinsames Gleichspannungsnetz, das einerseits über das klassische Wechselspannungsnetz (AC) oder aber auch von Generatoren oder über Photovoltaik mit elektrischer Energie versorgt wird. Die Wechselspannung wird dafür über AC/DC-Converter in Gleichspannung umgewandelt und ein stabiles Gleichstromnetz mit konstanter Spannungshöhe erzeugt“, erklärt Clemens. Die Anzahl der angeschlossenen Verbraucher ist dabei beliebig. Elektrische Maschinen werden über DC/AC-Converter versorgt. Zudem werden aus dem gemeinsamen DC-Netz sogenannte Micro-Grids erzeugt, welche dann wiederum, beispielsweise bei Marine-Systemen, verschiedene Bordnetze bilden. Auch Batteriesysteme können über DC/DC-Converter am Gleichspannungsnetz ge- und entladen werden. Sie speichern elektrische Energie und können im Falle eines Falles die Notstrom-Generatoren ersetzen. „Das bringt deutliche Einsparungen an Installationsraum – sprich mehr Platz – was auf einem Schiff ein sehr schlagkräftiges Argument ist“, weiß Clemens aus Erfahrung. Über das DC-Netz ist auf diese Weise stetiger Energieaustausch und Energierückspeisung gewährleistet, sodass Bremswiderstände oder zusätzliche Rückspeiseeinheiten entfallen können.
Schritt für Schritt entdeckt die Industrie derzeit diese Vorteile der Gleichspannung für sich. Und die Argumente klingen überzeugend: Mit DC-Spannung entfallen Oberschwingungs-Filter, die Netzqualität steigt, klassische Gleichrichter gehören der Vergangenheit an, die Wandlungsverluste könnten reduziert werden und die Antriebssysteme werden kompakter. Auch die Flexibilität beim Einsatz von DC-Convertern ist enorm. „Wir erleben in Zukunft einen einfachen Energieaustausch zu Speichern und die Fabrik wird zum Prosumer“, unterstreicht Prof. Dr. Holger Borcherding von der TH OWL. Seine Vision: Die Fabrik bezieht aus dem externen Wechselstromnetz Energie, die einmal gewandelt wird. Intern nutzen die Maschinen, Motoren und Speicher ein DC-Netz. Das führt zu weniger Netzausfällen und spart Energie. Borcherding forscht seit Jahren zum Thema.
DC-Netze kommen immer häufiger zum Einsatz, doch weiterhin läuft der Großteil der Stromversorgung über klassische Wechselstromnetze, die über Transformatoren verschiedene Spannungsebenen versorgen. Motoren, die eine konstante Drehzahl erfordern, können direkt an das Wechselspannungsnetz angeschlossen werden. In den wenigsten Fällen macht es allerdings Sinn, einen Motor konstant „auf voller Power“ laufen zu lassen; die meisten industriellen Anwendungen benötigen eine situativ angepasste Drehzahl. Dafür kommen Frequenzumrichter zum Einsatz. Ihr Vorteil: Sie passen die Motordrehzahl laufend an den aktuellen Bedarf an, was letztendlich zu mehr Effizienz und Energieeinsparungen führt. Der Frequenzumrichter wird von Wechselspannung versorgt. Diese wandelt er zunächst über einen Gleichrichter in eine Gleichspannung um, die dann wiederum über einen nachgeschalteten Wechselrichter in eine Wechselspannung mit variabler Frequenz und Spannung umgewandelt wird, um so die Drehzahl eines Drehstrommotors elektronisch zu verändern. Arbeitet der Drehstrommotor im Bremsbetrieb, zum Beispiel bei einem Kran im Senkbetrieb, dann ändert sich der Energiefluss. „Diese Energie kann jedoch ein Frequenzumrichter mit klassischem Gleichrichter nicht in das Netz zurückspeisen“, so Jochen Clemens, „da der Diodengleichrichter den Energiefluss nur in eine Richtung ermöglicht.“
Das könnte sich künftig ändern: Wenn ein Motor abbremst, könnte die dabei entstehende Energie direkt im gemeinsamen DC-Netz genutzt werden, um einen anderen Motor zu beschleunigen. Dazu kommt: Wenn der Gleichrichter im Frequenzumrichter nicht mehr gebraucht wird, sparen die Konstrukteure Platz und die Leistungselektronik kommt näher an den Motor. Auch Netzrückwirkungen durch Umrichter und zusätzliche Oberschwingungsfilter könnten der Vergangenheit angehören.
Mit elektromagnetischer Verträglichkeit (EMV) und Filtertechnologie kennt sich Clemens besonders gut aus. „Die Motorregelung mit Umrichtern führt zu immer besserer Effizienz und Leistungsfähigkeit der Systeme im klassischen AC-Netz. Immer mehr Geräte bedeuten aber auch mehr Störungen. Stichwort: Oberschwingungen. Die Qualität der Netzspannung lässt nach, wenn man dies nicht berücksichtigt.“ Clemens und seine Kolleginnen und Kollegen setzen deshalb auf Filtertechnologie, um die Netzrückwirkungen zu minimieren. „Wir schaffen es, den Netzstrom des Gleichrichters wieder möglichst Sinus förmig laufen zu lassen. 100 Prozent schaffen wir nicht, was auch wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, aber für eine gute Netzqualität reicht es aus.“
Zusätzlich zu den Frequenzumrichtern kommen dabei Filtertechnologien zum Einsatz, um die Netzrückwirkungen auf ein „gesundes Maß“ zu reduzieren. Hierbei werden passive und aktive Filtertechnologien eingesetzt. Möglich ist auch der Einsatz erweiterter Frequenzumrichter, welche aufgrund ihres elektrischen Aufbaus von vornherein deutlich geringere Netzrückwirkungen ins Netz abgeben. Dazu gehören Umrichter mit Active-Front-End-Technologie, Low Harmonic Drives oder Umrichter, mit höherpulsiger Einspeisung.
Kommen mehr DC-Anwendungen, dann werden auch die Netzrückwirkungen zurückgehen, prophezeit Borcherding. Er ist sich sicher: Gleichspannung wird sich etablieren – im E-Auto, in den Fabriken. „Ich werde es in meinem Berufsleben noch erleben“, ist der Wissenschaftler überzeugt. „Das ist kein Jahrhundertwerk. In 20 Jahren ist die DC-Spannungsversorgung im industriellen Bereich mit einem höheren zweistelligen Prozentbereich vertreten.“
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